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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Verzeihung bitten, dass du deine Promotion geschmissen hast und nur Lehrer geworden bist. Wir wohnen zusammen, aber du bist nicht wirklich da. Du hast dich längst in eine Fantasie welt abgeseilt, als großer Professor irgendwo in Amerika. Und sag jetzt nicht, das stimmt nicht, denn ich kenne dich, ich weiß es genau. Ich will dir heute auch nur sagen, dass du gehen kannst. Geh, wohin du willst. Vita kommt demnächst in die Schule. Ich mache diesen Abschluss und suche mir danach einen Job. Du brauchst nicht zu bleiben.« Sie öffnet die Hände, als wolle sie ein kleines Tier in die Freiheit entlassen.
    »Also soll ich gehen?«
    Claire reagiert nicht, deutet nicht einmal mit einem Nicken an, dass er überhaupt etwas gesagt hat. Stattdessen wendet sie sich zum Meer und lässt den Wind durch ihre kurzgeschorenen Haare wehen.
    Weiter hinten am Strand erhebt sich Monica. Sie befragt ihre Uhr und schaut aufs Meer hinaus.
    »Wir müssen los«, sagt sie.
    »Wieso?«
    Aoife hat sich auf dem Sand zusammengerollt und die Augen geschlossen.
    »Mum wollte, dass wir sie in zwei Stunden wieder abholen. Es wird Zeit.«
    »Das kann nicht sein.«
    »Die Flut kommt allmählich.«
    »Na und?«
    »Wenn wir noch auf die Insel wollen, müssen wir uns beeilen.«
    Aoife setzt sich auf und blickt aufs Meer. Es sieht genauso aus wie immer, grün, schäumend, ewiger Anstieg, ewiges Fallen. »Woran siehst du, dass die Flut kommt?«
    Endlich steht auch Michael Francis auf. Er ist plötzlich hellwach, so, als habe er erst jetzt die schlaflose Nacht auf der Fähre von sich abgeschüttelt. Claires Worte umschwirren ihn wie ein Schwarm Fliegen, dem er nicht entrinnen kann.
    »Claire«, sagt er, »hör doch mal zu ….«
    In diesem Moment kommt Vita angerannt und schmeißt sich gegen ihre Eltern und drückt sie zu einer sandigen Einheit zusammen. In dem Knäuel aus Gliedmaßen, Haut und Haaren spürt er, wie ihm Claires Finger entgleiten. Er will sie festhalten, doch hinten ruft man nach ihm. Er dreht sich um und sieht, wie ihm seine Schwestern zuwinken und dann auf das Auto deuten.
    An der Kreuzung, an der sie Gretta abgesetzt haben, kommt es zum Streit. Aoife ist dafür, direkt zum Kloster durchzufahren, Monica ist für warten, weil es so vereinbart war. Michael Francis findet beide Vorschläge am besten, je nachdem, wer gerade spricht. Claire hält sich heraus.
    Die Debatte ist noch nicht beendet, da steigt Aoife aus und sagt, dann gehe sie eben zu Fuß hoch. Gleichzeitig kommt Gretta um die Kurve.
    Sie sind ganz still, als Gretta sich ihnen mit ihrem typischen Schaukelgang nähert, die Handtasche fest umklammert.
    »Ist Dad bei ihr?«, flüstert Aoife.
    »Sieht nicht so aus«, sagt Michael Francis.
    Gretta reißt die Beifahrertür auf und wuchtet sich ächzend und umständlich ins Auto.
    »Ich bin völlig erschossen«, verkündet sie.
    Schweigen.
    »Du lebst aber noch«, sagt Aoife.
    »Sei nicht so frech, Aoife«, schnappt Gretta. »Du hast keine Ahnung, was ich durchgemacht habe. Nicht im Mindesten. Ich kann nicht mehr. Diese Hitze, unerträglich! So etwas habe ich noch nicht erlebt. Die Schwester sagte, sie bringt mir ein Glas Wasser, aber sie ließ sich nie wieder sehen. Ich schwöre, wenn ich nicht in den nächsten dreißig Minuten eine Tasse Tee bekomme, sterbe ich.«
    Von hinten reicht ihr Claire eine Trinkflasche. »Hier ist noch etwas Limo, Gretta.«
    »Nein, das geht nicht.« Sie wedelt die Flasche weg, schließt die Augen. »Ich kann doch den Kindern nicht ihre Limo wegtrinken.«
    »Die Kinder werden es überleben. Nimm ruhig.«
    »Auf keinen Fall.«
    »Jetzt hab dich nicht so, das geht in Ordnung.«
    »Niemals. Das bringe ich nicht über mich.«
    Da nimmt Michael Francis die Flasche, gießt Limo in den Plastikbecher und reicht ihn seiner Mutter. »Hier«, sagt er, »trink endlich.«
    »Das kann ich nicht«, sagt Gretta und leert den Becher in einem Zug. »Das geht gar nicht.« Sie gibt ihm den Becher zurück, lässt den Kopf nach hinten fallen und schließt abermals die Augen.
    Aoife schiebt sich zwischen die Vordersitze. »Und was war jetzt?«
    Gretta antwortet nicht.
    »Hast du Dad gesehen? Wo ist er?« Aoife fasst an ihre Schulter. »Mum? Was hast du herausgekriegt?«
    »Darf ich mich nicht mal eine Sekunde ausruhen?«, klagt sie. »Nach diesem Tag!«
    »Jetzt sei nicht albern. Wir wollen ja nur wissen, ob du Dad gesehen hast. Wo ist er? Und was ist mit Frankie?«
    »Die Sache ist die«, sagt Monica so diplomatisch, als weise sie die
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