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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Manhattan, aber das ist auch schon die einzige Gemeinsamkeit.«
    »Aoife …«
    »Lass es dir durch den Kopf gehen.«
    »Okay«, sagt er. »Mach ein Foto, dann überlege ich es mir.«
    Monica lehnt an einer Trockenmauer und wartet. Es ist weit nach Mitternacht, fast ein Uhr. Über der Insel hängt ein Mond so unglaublich hell und rund, dass er wie ein künstlicher Himmelskörper aussieht, ein Hollywood-Mond aus Papier, mit einer riesigen Glühlampe und allem Pipapo.
    Wie Zugluft unter der Tür, so kriecht die Müdigkeit in sie hinein. Ihre Lider werden schwer, der Kopf will wegnicken, aber sie reißt sich immer wieder hoch.
    Denn Aoife ist immer noch nicht da. Kurz nachdem Michael Francis und Claire allein zurückgekommen waren, sprang Gretta auf und lief immer wieder nervös zum Fenster, rang die Hände und sagte: Wo bleibt sie bloß? Sie ist doch nicht ins Wasser gefallen? Warum müssen in dieser Familie immer Leute verschwinden? Bis Monica sie ins Bett schickte und versprach, nach ihr zu suchen. Alle waren übermüdet von der Nacht auf der Fähre. Aoife offenbar nicht, trotz Jetlag. Aber Aoife war ja seit jeher schwer ins Bett zu kriegen, sie kam praktisch ohne Schlaf aus.
    Im Dunkeln machte sich Monica auf die Suche, ging erst bis zur Nordspitze der Insel, dann zur Westseite und wieder zurück. Sie rief sich die Lunge aus dem Leib, suchte überall. Wie früher, als Aoife schlafwandelte. Das Schlafwandeln kam immer in Schüben. Wochenlang konnte Ruhe sein, aber eines Nachts wachte Monica auf, und das Bett neben ihr war leer und die Decke zurückgeschlagen. Dann wusste sie, dass Aoife sich wieder auf Wanderschaft begeben hatte – wodurch, war unklar. Es folgte die übliche Suchroutine: Badezimmer, Treppe, Wohnzimmer, Küche. Einmal hatte sie sie vor dem niedergebrannten Kaminfeuer gefunden, ein andermal saß sie auf dem Bett von Michael Francis. Sogar im Garten hatte sie sie schon aufgegriffen, wo sie, die Augen halb offen, an der Tür vom Schuppen rüttelte, weil irgendein gespenstisches Drehbuch in ihrem Inneren sie dazu zwang. Später hatte ihr Vater an allen Außentüren Riegel angebracht, hoch genug, dass sie nicht darankam und womöglich auf die Straße lief.
    Einmal mehr läuft sie also mitten in der Nacht los, ihrer Schwester Hüter, um die wandelnde Aoife einzufangen und vorsichtig wieder ins Bett zu lotsen.
    Schließlich entdeckt sie sie vom Steilufer aus, als winzige Gestalt auf dem mondglänzenden Damm. Im Nachthemd und in Gummistiefeln geht sie ihr entgegen und wartet nun an der Mauer.
    Als Aoife die Stelle erreicht, wo der Damm zum Uferweg hin ansteigt, ruft Monica nach ihr: »Aoife!«
    Ihre Schwester fährt zusammen und fasst sich an die Brust. »Wer ist da?«, ruft sie, und Monica ist überrascht, dass jemand wie Aoife Angst kennt.
    »Ich bin’s.«
    »Ach so. Gott, hast du mich erschreckt. Was tust du hier?«
    »Wonach sieht es denn aus? Ich warte auf dich. Wo bist du gewesen?«
    »Weg«, erwidert Aoife, ohne stehen zu bleiben.
    »Weg wo?«
    Aoife deutet hinter sich, nach Claddaghduff. »Da.«
    Trotz der Dunkelheit merkt sie sehr wohl, dass Aoife wieder jenes übellaunige und absolut humorlose Gesicht macht, das sie von früher her kennt. Ebenso vorsichtig wie ungeschickt kraxelt Monica in ihren Gummistiefeln über die Mauer und versucht, Aoife einzuholen. »Du hast deinen Freund angerufen, stimmt’s?«
    Aoife gibt einen Laut von sich, der alles bedeuten kann und Monica so entmutigt, dass sie stehen bleibt. Sie sagt: »Aoife, hör mir doch mal zu.«
    Aoife bleibt ebenfalls stehen, hat ihr aber den Rücken zugedreht.
    Ausgerechnet an diesem Punkt weiß Monica nicht weiter. Ihr fällt einfach nichts ein, das sie jetzt sagen könnte.
    »Ich …«, beginnt sie, »… also mit Joe …« Sie zögert. »Ich war so … alles war so … du weißt ja, was alles passiert ist …« Sie holt Luft. »Nachdem ich es getan hatte, war alles so …«
    »Jetzt sag es schon«, sagt Aoife mit dem Rücken zu ihr.
    »Sagen, was?«
    Aoife seufzt. »Dann fick dich doch selber.«
    Monica zuckt bei dem Ausdruck zusammen. Etwas Ähnliches hatte auch Joe zu ihr gesagt, als …
    »Was soll das? Na und, es sind Wörter, die jeder kennt – außer dir anscheinend.«
    Dann herrscht Schweigen, und sie hören nur noch diesen einsamen Vogel singen. Und den Wind, der in Monicas Nachthemd raschelt. Und den fernen Puls des Meeres.
    »Es tut mir alles so leid«, sagt Monica schließlich.
    »Was tut dir leid.«
    »Alles. Dass ich
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