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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Stuhl mit Claire in ihrem Sommerkleid, die sich unschuldig vom Rührei nahm und ihren Vater fragte, ob sie ihm irgendetwas reichen könne.
    Weniger froh war er, als sie ihm drei Wochen später eröffnete, dass ihre Periode ausgeblieben sei. Und noch viel weniger, als er im Monat darauf seinen Eltern mitteilen musste, dass er beabsichtige zu heiraten. Seine Mutter brauchte ihm nur kurz ins Gesicht zu sehen und setzte sich seufzend neben ihn an den Tisch.
    »Ach, Michael Francis«, hauchte sie und fasste sich an den Kopf.
    »Ich verstehe nicht«, sagte sein Vater und sah sie abwechselnd an. »Was ist denn los?«
    »Wie konntest du mir das antun?«
    »Was ist denn?«, fragte er abermals.
    »Er hat einer Tusse einen Piepmatz in die Voliere gesetzt«, sagte Aoife.
    »Hä?«
    »Er hat ihr einen Braten in die Röhre geschoben, Dad«, präzisierte sie laut vom Sofa aus und ließ ihre makellosen vierzehnjährigen Beine über die Lehne schaukeln. »Hat sie angebufft, dick gemacht, ihr ein süßes Geheimnis angedreht …«
    »Das reicht jetzt«, sagte ihr Vater.
    Aoife zuckte die Achseln und sah dann zu Michael hinüber, als gäbe es bei ihrem Bruder plötzlich etwas zu sehen.
    »Stimmt das?«, fragte sein Vater, an ihn gewandt.
    »Ich …«, begann er mit hilflos ausgebreiteten Händen. Das war nicht geplant, wollte er sagen. Sie ist nicht die Frau, die ich heiraten wollte. Ich wollte meinen Doktor machen, nebenbei mit jeder schlafen, die nicht bei drei auf den Bäumen ist, dann nach Amerika gehen. Diese Heirat und das Baby waren nicht vorgesehen.
    »Die Hochzeit ist in zwei Wochen.«
    »In zwei Wochen, sagst du?« Seine Mutter fing an zu weinen.
    »In Hampshire. Ihr braucht nicht zu kommen, wenn ihr nicht wollt.«
    »Ach Michael«, sagte seine Mutter abermals.
    »Und wo in Hampshire?«, fragte sein Vater.
    »Ist sie wenigstens katholisch?«, sagte Aoife mit wippendem Fuß und biss ein Halbrund aus ihrem Keks.
    Ihre Mutter rang nach Luft. »Ja, richtig: Ist sie denn katholisch?«
    Sie schaute auf das Herz-Jesu-Bild an der Wand. »Bitte sag, dass sie katholisch ist.«
    Er räusperte sich und warf Aoife einen giftigen Blick zu. »Nein, ist sie nicht.«
    »Was ist sie dann?«
    »Ich … ich weiß es nicht. Anglikanisch nehme ich an, aber das ist nicht so wichtig, jedenfalls nicht in unserer …«
    Ihre Mutter erhob sich schwankend vom Küchentisch, ihr Vater schlug sich mit der gefalteten Zeitung in die Hand. Und Aoife sagte scheinbar zu niemandem speziell: »Jetzt geht er hin und knallt auch noch eine Lutherische.«
    »Halt die Fresse, Aoife«, sagte er.
    »Nicht diesen Ton«, sagte sein Vater.
    »Das überlebe ich nicht«, rief ihre Mutter aus dem Bad und wühlte klappernd in ihren Tranquilizer-Fläschchen. »Warum bringt ihr mich nicht gleich um, hier und jetzt?«
    »Gute Idee«, murmelte Aoife. »Wer macht den Anfang?«
    Aber dann wurde Hughie geboren, und das Leben von Claire und Michael Francis kam wieder in die Spur, wenngleich nicht mehr in dieselbe wie vorher. Unter normalen Umständen hätte Claire ihren Uni-Abschluss in Geschichte gemacht und einen Job angenommen, der für Mädchen aus ihren Kreisen üblich war, als Hospitantin bei einer Zeitschrift oder als Anwaltsgehilfin. Sie hätte sich mit einer Freundin eine winzige, mit Klamotten und Kosmetikkram vollgemüllte Wohnung und weitgehend auch das Privatleben geteilt, also gegenseitig Nachrichten angenommen und in einem schmalen Schlauch von Küche für Freunde und Bekannte gekocht. Sie hätten in der Spüle Unterwäsche gewaschen und sie am Gaskamin getrocknet. Dann, nach ein paar Jahren, hätte sie einen Anwalt oder Geschäftsmann geheiratet und wäre so wie ihre Eltern aufs Land gezogen, nach Hampshire oder Surrey, wo Claire ihre supergepflegten Kinder großgezogen und von ihren wilden Jahren in London erzählt hätte.
    Und Michael hätte seinen Doktortitel eingesackt und mit den schönsten Frauen der City geschlafen – von denen es im London der Sechzigerjahre übrigens jede Menge gab. Frauen mit dramatisch geschminkten Augen, Frauen in Rollkragenpullovern oder fließenden Gewändern oder absurden Minis und langen Stiefeln. Frauen mit Hüten und Sonnenbrillen und solche mit Turmfrisuren und Tweedmänteln. Und alle, wirklich alle hätte er nacheinander ausprobiert. Und dann hätte er eine Professur in Amerika bekommen, er dachte da an Berkeley oder die NYU oder Chicago oder ans Williams College. So jedenfalls sein Plan. Er hätte diesem Land Lebewohl gesagt und
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