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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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…«
    Mit einer fahrigen Bewegung kratzt sie sich am Kopf, will eine Stelle auf der Seite anstreichen, zieht dann aber den Stift zurück.
    »Ich empfehle darüber hinaus die Lektüre von …«
    »Willst du ihm nicht langsam antworten?«
    »Antworten, wem?«
    »Hughie.«
    Er horcht nach unten, dorthin, wo seine Frau nicht ist, und stellt fest, dass sein Sohn nach ihm ruft: »Daddy, Dadiiiiiiiiiiiiii, komm zurück!«
    Was ihm bei der ersten Begegnung mit Claires Eltern sogleich auffiel, war, wie nett sie alle miteinander umgingen. So höflich und zuvorkommend. Die Eltern sprachen sich nur mit »Liebling« an, und beim Essen sagte Claires Mutter, sie entschuldige sich vielmals, aber würde es ihm etwas ausmachen, ihr die Butter zu reichen? Er hatte eine Sekunde gebraucht, aus dem geschnörkelten Satz so etwas wie eine Bedeutung freizulegen. Und als sie später sagte, ihr fröstele ein wenig, sprang der Vater sogleich auf und holte ihr ein elegantes Seidentuch. Der Bruder berichtete von seinem Schultag und dem Rugbymatch der Jungs, und zwar ohne dass man ihm jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen musste. Die Eltern erkundigten sich bei Claire-Bär (so nannten sie sie) über Seminararbeiten, Vorlesungen und Prüfungstermine, das Essen kam in Porzellanschüsseln mit Deckel auf den Tisch, und man legte sich gegenseitig auf und nach.
    Das alles faszinierte ihn und kam ihm gleichzeitig albern vor. Kein Geschrei, kein Fluchen, niemand, der beleidigt aus dem Zimmer lief, kein bockiges Schweigen, kein Verteilungskampf um die Kartoffeln. Darüber hinaus wurde nicht mit Löffeln geschmissen, und niemand hielt sich das Tranchiermesser an die Kehle, um allen Anwesenden zu drohen »Ich bring mich um!« Er konnte fast nicht glauben, dass irgendwem aus Claires Familie das Thema seiner Doktorarbeit auch nur ansatzweise etwas sagte, aber genau so war es. Man notierte sich nicht nur das Datum seiner Prüfungen, sondern machte sogar weitergehende Lektürevorschläge und schaffte die betreffenden Bücher aus der Hausbibliothek auch gleich herbei.
    So viele Nachfragen über den Fortgang seiner Doktorarbeit neben seinem anstrengenden Lehrerberuf machten ihm beinahe Angst. Ihm wäre es lieber gewesen, übersehen zu werden. Dann hätte er sich in Ruhe das leckere Essen reinschaufeln, die Ölgemälde an der Wand anschauen oder einfach den Blick aus dem Panoramafenster in den weitläufigen Garten schweifen lassen können. Diese Leute, das war der Sinn seines Besuchs, sie sollten doch lediglich zur Kenntnis nehmen, dass er seit einiger Zeit mit einem Mädchen schlief, das seine Eltern noch immer mit Mummy und Daddy an sprach.
    Aber sie ließen einfach nicht nach. Wie viele Geschwister er habe, was sie beruflich machten, wo er aufgewachsen sei, das waren nur einige Fragen. Dass sein Vater Bankkaufmann gewesen war, schien sie zu beruhigen, doch dass er jeden Sommer nach Irland fuhr, überraschte allgemein.
    »Michaels Eltern kommen aus Irland«, sagte Claire, und täuschte er sich oder schwang in dieser Feststellung eine vorsichtige Warnung mit?
    »Ach wirklich?« Ihr Vater musterte ihn, als müsse diese Herkunft äußerlich sichtbar sein. Er war versucht, vor ihm ein Ave-Maria zu deklamieren, nur um zu sehen, wie sie reagieren. Er hätte, trotz der ungenießbar stachligen Artischocke im Mund, gern gesagt: »Ja fürwahr, ich bin’s, ein waschechter Ire. Ein Paddy, ein Kathole, ein Mick, ein Fenier und IRA-Sympathisant, und was das Schlimmste ist: Ich habe Ihre Tochter entjungfert.«
    Stattdessen sagte er nur: »Ja.«
    »Aus Nordirland? Oder Südirland?«
    Er war sich uneins, ob er Claires Vater korrigieren sollte, denn Südirland gab es nicht, nur die Republik Irland. Er schluckte: »Ich? Aus … dem Süden.«
    »Aber Sie sind nicht in der IRA, oder?«
    »Daddy«, murmelte Claire.
    Doch der Mann lächelte nur, ein kurzes dünnes Lächeln. »Ich will ja nur wissen, ob Ihre Familie …«
    »Ob meine Familie zur IRA gehört?«
    »Rein interessehalber, nicht böse gemeint.«
    In dieser Nacht, genauer gesagt um ein Uhr früh, fiel er regelrecht über sie her, vögelte sie auf der floralen Tagesdecke des Betts, auf dem Teppich, auf dem Sessel am Fenster. Er packte ihr maisgelbes Haar und presste es an sein Gesicht, und stieß mit geschlossenen Augen in sie hinein, und was ihn dabei besonders freute, auf eine wütende Weise freute, er benutzte nicht einmal ein Kondom. Es freute ihn sogar noch am nächsten Morgen am familiären Frühstückstisch, Stuhl an
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