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Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant
Autoren: Chuck Palahniuk
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fahrlässig, keine Frage, aber trotzdem war es eine hervorragende sozialpolitische Aktion.«
    Ich sage ihr, dass das auf dem Überwachungsvideo des Ladens aber anders ausgesehen hat.
    Dazu kam noch die Anklage wegen Menschenraubs. Auch das war auf dem Video zu sehen.
    Sie lacht, ja, sie lacht und sagt: »Fred, wie dumm von Ihnen, mir da raushelfen zu wollen.«
    So redet sie eine halbe Stunde lang weiter, hauptsäc h lich über diese törichte Sache mit dem Haarfärbemi t tel. Dann bittet sie mich, ihr aus dem Aufenthaltsraum eine Zeitung zu holen.
    Auf dem Gang vor ihrem Zimmer steht eine Frau, eine Ärztin in weißem Kittel, ein Klemmbrett in der Hand. Ihr langes dunkles Haar trägt sie in Form eines kleinen schwarzen Gehirns auf dem Hinterkopf. Sie ist nicht geschminkt, ihre Gesichtshaut sieht einfach aus wie Haut. Aus ihrer Brusttasche ragt eine schwarze Brille.
    Ob sie für Mrs. Mancini zuständig sei, frage ich.
    Die Ärztin sieht auf das Klemmbrett. Sie nimmt die Brille, setzt sie auf, sieht noch einmal nach und sagt die ganze Zeit: »Mrs. Mancini, Mrs. Mancini, Mrs. Ma n cini … «
    Und knipst dabei unablässig an ihrem Kugelschreiber herum.
    »Warum nimmt sie immer noch ab?«, frage ich.
    Die Haut an den Scheiteln, die Haut über und hinter den Ohren der Ärztin ist so rein und weiß wie wohl auch die Haut an den anderen Stellen ihres Körpers, die nicht von der Sonne gebräunt sind. Wenn Frauen wüssten, wie ihre Ohren wirken, der feste fleischige Rand, die kleine dunkle Wölbung oben, die sanften Konturen, deren Spiralform einen in die kompakte Dunkelheit des Inneren zieht, nun, dann würden mehr Frauen sich die Haare über die Ohren kämmen.
    »Mrs. Mancini«, sagt sie, »muss mit dem Schlauch ernährt werden. Sie empfindet Hunger, hat aber ve r gessen, was diese Empfindung bedeutet. Folglich isst sie nicht mehr.«
    »Und was soll das mit diesem Schlauch kosten?«, sage ich.
    Eine Schwester ruft durch den Flur: »Paige?«
    Die Ärztin mustert mich – ich trage Kniehose und Wams, eine gepuderte Perücke und Schnallenschuhe – und sagt: »Was sind Sie eigentlich?«
    Die Schwester ruft: »Miss Marshall?«
    Meine Arbeit lässt sich hier schlecht erklären. »Ich bin die tragende Säule bei der Besiedlung Amerikas.«
    »Wie bitte?«, sagt sie.
    »Ein zwangsverpflichteter irischer Dienstbote.«
    Sie sieht mich nur an und nickt. Dann blickt sie auf ihre Liste. »Entweder wir schieben ihr einen Schlauch in den Magen«, sagt die Ärztin, »oder sie muss ve r hungern.«
    Ich blicke in das geheimnisvolle Dunkel ihres Ohrs und frage, ob wir nicht noch ein paar andere Möglichkeiten erörtern könnten.
    Hinten im Flur steht die Schwester, stemmt die Fäuste in die Hüften und schreit: »Miss Marshall!«
    Die Ärztin zuckt zusammen. Sie hebt den Zeigefinger, um mich zum Schweigen zu bringen, und sagt: »H ö ren Sie«, sagt sie, »ich muss jetzt wirklich meine Vis i te beenden. Bei Ihrem nächstem Besuch können wir ja weiterreden.«
    Sie dreht sich um, geht die zehn oder zwölf Schritte zu der Schwester und sagt: »Schwester Gilman.« Sie spricht schnell, die Worte drängen sich hastig zusa m men: »Sie können wenigstens so viel Respekt vor mir zeigen und mich Dr. Marshall nennen.« Sie sagt: »B e sonders in Gegenwart eines Besuchers.« Sie sagt: »Besonders wenn Sie durch den ganzen Gang hier schreien. Ein wenig Höflichkeit, Schwester Gilman, habe ich doch wohl verdient, und wenn Sie selbst mal anfangen, sich Ihrem Beruf entsprechend zu verha l ten, werden Sie feststellen, dass alle hier Ihnen sehr viel mehr entgegenkommen werden … «
    Als ich mit der Zeitung aus dem Aufenthaltsraum komme, ist meine Mutter eingeschlafen. Die furchtb a ren gelben Hände liegen gefaltet auf ihrer Brust, um ein Handgelenk hat sie ein hitzeversiegeltes Plasti k armband.

4
    Als Denny sich bückt, rutscht ihm die Perücke runter und landet in Matsch und Pferdemist. Zweihundert japanische Touristen schieben sich kichernd vor, um seinen rasierten Kopf auf Video zu bannen.
    »Entschuldige«, sage ich und hebe die Perücke auf. Sie ist nicht mehr sehr weiß und verströmt einen üblen Geruch, weil hier täglich mindestens eine Million Hu n de und Hühner ihr Geschäft verrichten.
    Da er so weit vorgebeugt ist, hängt ihm das Halstuch ins Gesicht. Er kann nichts sehen. »Mann«, sagt er, »erzähl mir, was da vor sich geht.«
    Ich bin die tragende Säule bei der Besiedlung Amer i kas.
    Der ganze blöde Scheiß, den wir für Geld
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