Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant
Autoren: Chuck Palahniuk
Vom Netzwerk:
jetzt Kriegsgeschichten aus. Jeder kommt an die Reihe. Das ist jedes Mal der Einstieg in die Sitzung.
    Anschließend wird interpretiert und gebetet und das Thema des Abends ausdiskutiert. Jeder arbeitet an einer der zwölf Stufen. Auf Stufe eins gibt man zu, dass man machtlos ist. Dass man süchtig ist und nicht aufhören kann. Auf Stufe eins erzählt man seine G e schichte, in allen schlimmen Einzelheiten. Alles, was einen erniedrigt.
    Das Problem beim Sex ist das Gleiche wie bei jeder anderen Sucht. Man ist ständig auf dem Weg der Be s serung. Man hat ständig Rückfälle. Tut es wieder. Bis man etwas findet, für das man kämpfen kann, gibt man sich mit etwas zufrieden, gegen das man käm p fen kann. Alle diese Leute, die sagen, sie möchten frei von sexuellen Zwängen leben - Quatsch, das kannst du vergessen. Im Ernst, was gibt es denn Besseres als Sex?
    Selbst die schlechteste Nummer mit dem Mund ist immer noch besser als, sagen wir, an der besten Rose zu riechen den großartigsten Sonnenuntergang zu b e trachten. Kinder lachen zu hören.
    Ich glaube, ich werde niemals ein Gedicht lesen, das so herrlich ist wie ein Orgasmus, der einem die Eing e weide rausschleudert.
    Bilder malen, Opern komponieren – so was macht man nur, bis man die nächste Nummer schieben kann.
    Solltest du mal was finden, was besser als Sex ist, sag mir sofort Bescheid. Ruf mich an.
    Keiner dieser Leute in Zimmer 234 ist ein Romeo, ein Casanova oder Don Juan. Es gibt dort auch keine Mata Hari oder Salome. Es sind Leute, denen du täglich die Hand schüttelst. Weder hässlich noch schön. Du stehst neben diesen Legenden im Aufzug. Sie servieren dir den Kaffee. Diese mythischen Wesen kontrollieren deine Eintrittskarte. Sie zahlen dir den Lohn aus. Sie legen dir die Hostie auf die Zunge.
    Auf der Damentoilette, tief in Nico, verschränke ich die Hände hinterm Kopf.
    Ich weiß nicht, für wie lange, aber vorläufig habe ich keine Probleme auf der Welt. Keine Mutter. Keine Arz t rechnungen. Keinen beschissenen Job im Museum. Keinen blöden besten Freund. Nichts.
    Ich empfinde nichts.
    Damit es noch etwas dauert, damit ich nicht komme, erzähle ich Nicos geblümtem Rücken, wie schön sie ist, wie reizend sie ist, wie sehr ich sie brauche. Ihre Haut, ihre Haare. Damit es noch etwas dauert. Weil ich das sonst nie sagen kann. Weil wir uns, sobald dieser Augenblick vorüber ist, hassen werden. Sobald wir uns fröstelnd und schwitzend auf dem kalten B o den finden, sobald wir beide gekommen sind, werden wir uns nicht mehr in die Augen sehen können.
    Mehr als den anderen hassen wir dann nur noch uns selbst.
    Es sind die einzigen wenigen Minuten, in denen ich Mensch sein kann.
    Nur in dieser kurzen Zeit fühle ich mich nicht einsam.
    Und Nico, die wild auf mir reitet, sagt: »Und wann stellst du mich deiner Mutter vor?«
    »Niemals«, sage ich. »Ausgeschlossen.«
    Und Nico spannt den ganzen Körper an und rammt mich noch tiefer in ihre kochenden, feuchten Eing e weide und sagt: »Ist sie im Knast oder in der Klap s mühle oder so was?«
    Ja, die meiste Zeit ihres Lebens.
    Frag einen Mann beim Sex nach seiner Mutter, und du zögerst den großen Knall ewig hinaus.
    Und Nico fragt: »Also ist sie tot?«
    Und ich sage: »So was Ähnliches.«

3
    Wenn ich meine Mutter besuche, spiele ich schon la n ge nicht mehr mich selbst.
    Teufel, ich weiß ja selbst kaum, wer ich bin. Nicht mehr.
    Meine Mutter denkt zur Zeit anscheinend nur noch ans Abnehmen. Sie ist dermaßen abgemagert, dass sie wie eine klapprige Marionette aussieht. Eine Puppe, b e wegt mit Spezialeffekten. Von ihrer gelben Haut ist nicht mehr genug übrig, dass da ein echter Mensch hineinpassen könnte. Ihre dünnen Puppenärmchen schweben über der Bettdecke und zupfen dauernd an Flusen herum. Der verschrumpelte Kopf fällt über dem Trinkhalm in ihrem Mund zusammen. Früher, als ich noch als ich selber gekommen bin, als Victor, ihr Sohn Victor Mancini, hat es nie länger als zehn Minuten g e dauert, bis sie nach der Schwester klingelte und mir sagte, dass sie einfach zu müde sei.
    Eines Tages dann hält meine Mutter mich für irgende i nen vom Gericht bestellten Pflichtverteidiger, der sie ein paar Mal vertreten hatte. Als sie mich erblickt, hellt ihre Miene sich auf, sie lehnt sich in ihren Kissenstapel zurück, schüttelt den Kopf ein bisschen und sagt: »Ah, Fred.«
    Sie sagt: »Auf den Schachteln mit dem Zeug zum Haarefärben waren überall meine Fingerabdrücke. Es war grob
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher