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Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)

Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)

Titel: Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
Autoren: Roland Brodbeck
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vergessen, die ohne eigene Aussicht auf Medaillen und Ruhm alles erst möglich machen. Ich meine, die Funktionäre, Trainer, Experten, Supporter, die vielen Helfer, die schon um Mitternacht die Piste präparieren. Selbstverständlich danke ich auch den Fans, ohne die alles nicht halb so geil wäre. Die haben mich auch supertoll unterstützt und mir viele aufmunternde Sachen geschrieben. Das hilft mir sehr.
    Von Herrn Putin haben ich und meine Kollegen ebenfalls Post bekommen, eigentlich stammt der Brief vom Gericht aus Krasnodar – hoffentlich habe ich es richtig ausgesprochen –, man hat uns alle wegen illegalem Grenzübertritt verurteilt und natürlich habe sich bei mir und Florian die Homopropaganda und das Unterlaufen des Pride-House-Verbots strafverschärfend ausgewirkt. Herr Putin: Florian und ich machen keine Propaganda, wir lieben uns.
    Wir beide konnten das Urteil aus Krasnodar nur mit einem Kopfschütteln und Wut im Bauch in den Papierkorb werfen, andere haben leider nicht dieses Privileg. Die Schwulen und Lesben im Einflussbereich der orthodoxen Kirche werden leider weiter verfolgt.“
    Fabian zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus seiner Jackett-Innentasche, während im Saal zurückhaltend applaudiert wurde. Justin konnte vielen ansehen, dass für etliche Anwesende ein kämpferischer, offen schwul lebender Spitzensportler noch gewöhnungsbedürftig war.
    „Ich wurde gebeten, über die Vorbildfunktion des Sports ein paar Worte zu verlieren“, fuhr Fabian fort. „Die vornehmste Aufgabe des internationalen Spitzensports ist es, für den friedlichen, respektvollen Umgang der Menschen verschiedenster Völker und Kulturen einzutreten und mit gutem Beispiel voranzugehen. Das ist der olympische Geist. Ich bin sehr dankbar, dass der ehemalige IOC-Präsident Jacques Rogge bereits letzten Sommer unmissverständlich gesagt hat, homosexuelle Athleten und Betreuer seien in diesen olympischen Gedanken mit eingeschlossen. Dafür möchte ich Herrn Rogge danken. Die Sportrichter von Lausanne verurteilen natürlich unseren Besuch bei den Aktivisten in Sotschi. Gnädigerweise hat der Sportgerichtshof angesichts des sensiblen Themas auf eine Sperre verzichtet, auch weil der als privat gedachte Besuch im Hauptquartier der Schwulenaktivisten nicht durch unser Verschulden eskaliert sei. Meine Damen und Herren am Sportgerichtshof in Lausanne: Schwulsein ist aber nicht eine Mitgliedschaft in einer Partei, sondern eine angeborene Veranlagung.“
    Am Tisch auf der anderen Seite des Mittelgangs stand ein älteres Ehepaar demonstrativ auf; brisanterweise hatten sie an der Tafel des Bundespräsidenten gesessen. Justin glaubte, in dem Paar österreichische Prominente zu erkennen, nur der Name wollte ihm nicht einfallen. Die beiden verließen nun langsam schreitend den Saal und wurden ab der Mitte von zwei weiteren Paaren begleitet. Es war für jedermann unverkennbar, dass Fabian dadurch einen Moment irritiert wurde. Der Präsident des österreichischen Skiverbandes, der in Russland Fabian und Florian noch wegen ihres öffentlichen Eintretens für Homosexuellenrechte getadelt hatte, blieb jedoch im Saal sitzen. Justin hoffte, das beim Funktionär als positives Zeichen für mehr Respekt gegenüber aktiven Lesben und Schwulen im Spitzenskisport deuten zu können. Vielleicht würde der Mann künftig nicht mehr homophobe Ressentiments bedienen.
    „Ich denke in diesem Moment an Tommie Smith und James Carlos“, fuhr Fabian fort, „die 1968 auf der olympischen Siegertreppe mit erhobener Faust gegen die damals in vielen Ländern herrschende Diskriminierung demonstrierten. Sie haben dies nicht getan, weil sie eine bestimmte Partei unterstützen wollten, sondern weil sie der Rassismus in manchen Staaten der USA, Südafrika und etlichen anderen Ländern persönlich in ihrem tiefsten Inneren verletzte. Aber wie zu erwarten, wurden die beiden Athleten deswegen sofort aus dem olympischen Dorf geworfen. Das Eintreten für die eigene Hautfarbe oder sexuelle Orientierung ist keine politische Propaganda. Es geht um unsere Menschenwürde, unser grundlegendes Recht, bei ausreichender sportlicher Qualifikation an den internationalen Wettkämpfen teilzunehmen und unser Leben so zu leben, wie Florian und ich eben sind, ohne Angst vor Sanktionen und Anfeindungen. Vielen Dank an den IOC-Präsidenten für die Einladung, Kitzbühel für seine Gastfreundschaft und Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit!“
    Der Applaus fiel an manchen Tischen kräftig
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