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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
Autoren: Lilach Mer
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Fenstersims hinunter. Es machte so gut wie kein Geräusch.
    Die Tochter ging zum Fenster und öffnete es. Öffnete es weit, beide Flügel. Draußen war es dunkler geworden. Eine Zeit lang sah sie hinaus, auf den kiesbestreuten Vorplatz, das Tor mit seinen verschlungenen Eisenranken, die Straße und die Felder, die dahinterlagen. Vielleicht streifte ihr Blick auch den einen steinernen Pfosten, an dem man mit behutsamen Fingerspitzen immer noch verwobene Kerben ertasten konnte, wenn man wusste, wo sie sich befanden.
    Ob sie es je versuchen würde?
    »Mein Liebchen«, sagte Mina, aber die Tochter drehte sich schon zu ihr um, kam zum Bett zurück, ohne das Fenster wieder zu schließen.

    »Ruh dich nur aus, Mama«, flüsterte sie und küsste Mina unter schwimmenden Augen. »Ruh dich aus. Bis wir uns wiedersehen.«
    »Ja«, sagte Mina und hielt sie, noch einen Wimpernschlag. »Ja, meine schönste Tochter. Bis wir uns wiedersehen.«
     
    Als sie allein war, entspannte Großmutter Mina die Schultern, sah zum Fenster hinüber und wartete. Nicht lange; nicht einmal eine Stunde. Dann zog von draußen, vom Weiher her, ein Rauschen herauf, das den Raum erfüllte. Ein weißes, sternweißes Rauschen. Die Fensterflügel knarrten wie in einem plötzlichen Wind, die Vorhänge bauschten sich wie Schwingen.
    Die Spieluhr klirrte und spielte von selbst ein paar Töne.
    Und Mina lächelte und öffnete ihre Augen weit.

Nachwort und Quellen
    Zu den Zinken
    Die »Zigeunerzinken«, die sich an den Kapitelanfängen finden und auch im Text erwähnt werden, begleiten die Geschichte und können, ansatzweise zumindest, auch selbst »gelesen« werden. Sie sind echten alten Zinken nachempfunden, wie sie im 18. Jahrhundert noch verbreitet waren, zu Minas Zeit allerdings schon sehr viel weniger vorkamen, was auf den Anstieg der Alphabetisierungsrate in der Bevölkerung zurückgeführt wird. Es handelt sich um eine Bildsprache, deren Regeln aber nur sehr bruchstückhaft bekannt sind und die von Ort zu Ort auch stark variierte. Die Fahrensleute, die mit ihr vertraut waren, konnten sich in ihr die unterschiedlichsten Dinge mitteilen: Alltägliches, wie etwa, in welche Richtung sie zogen und was sie dort vorhatten, wie viele sie waren oder wie es ihnen auf dem Weg ergangen war; Warnungen vor bestimmten Orten; aber auch ganz Persönliches, wie eine neue Liebe, die Geburt eines Kindes oder Gefühle von Traurigkeit und Einsamkeit.
    Manche Zinken waren so komplex, dass sie ganze Sachverhalte vermitteln konnten, andere kurz und bündig. Sie
wurden von ganz verschiedenen Personengruppen benutzt; in rudimentärer Form überlebt hat bis heute aber nur sehr wenig, hauptsächlich die sogenannten »Gaunerzinken« (in den USA als »Hobo Signs« bekannt), die meistens von Kriminellen benutzt werden, um anzuzeigen, ob es zum Beispiel in einem Haus unverschlossene Hinter türen gibt. Diese heutigen Zeichen sind nur kümmerliche Überreste der alten reichen Bildsprache - und sollten im Übrigen nicht als romantisches Relikt vergangener Zeiten betrachtet, sondern tunlichst entfernt werden.
    Meine und Swantje Philipps’ Interpretation der Zinken lehnt sich vor allem - sehr frei - an eine umfangreiche Sammlung an, die ich in Die Gaunerzinken der Freistädter Handschrift von Hanns Gross, Archiv für Kriminalanthropologie II (1899) gefunden habe, der sich dabei auf noch ältere Sammlungen stützte.
     
    Zu den Tatern
    Der Begriff »Tater« ist, soweit ich weiß, ein alter norddeutscher Ausdruck für Fahrensleute, ganz undifferenziert angewandt auf alle möglichen Volksgruppen, u. a. auch aus der Roma-Familie. Er leitet sich wohl von dem Wort »Tataren« ab, und man findet ihn heute noch in manchen Ortsnamen wieder. Die Tater, denen Mina begegnet, sollen kein akkurates Porträt einer bestimmten Gruppe zeichnen; sie sind größtenteils reine Fantasiegestalten. Ich habe sie aber ein wenig an historische Beschreibungen von wandernden Roma-Familien angelehnt, was auch das Lied andeutet, das Rosa Mina beibringt. Es stammt übrigens aus Haideblüten. Volkslieder der transsilvanischen Zigeuner von Heinrich v. Wlislocki (1880). Ich habe nur die Übersetzung ganz
leicht angepasst und es ansonsten wörtlich übernommen. Der von Wlislocki wiedergegebene Roma-Dialekt scheint mir heute allerdings veraltet oder ungebräuchlich zu sein: Bei »RomLex«, einer Projektdatenbank zu den Romani-Sprachen, findet man beispielsweise die Blume, die im Lied »luluya« heißt, je nach Dialekt als
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