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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
Autoren: Lilach Mer
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kommen und der schönen Tochter des Schlossherrn ihr Herz rauben; wenn sie fortläuft, um ihnen zu folgen, ohne
Schuhe, ohne Geld. Dann sucht ihr Vater sie verzweifelt im ganzen Land, weil er nicht will, dass sein geliebtes Kind in Armut lebt. Aber wenn er sie endlich findet, dann lebt sie in einem Schloss aus Gold und Silber, und die Kinder auf ihrem Schoß tragen feinstes Leinen.«
    Zwei Augenpaare hielten sich an ihrem Gesicht fest. Wieder lächelte Mina, obwohl der sehnsüchtige Schmerz sie beinahe zerriss. Sie ließ ihre Stimme noch tiefer hinabsinken.
    »In einem fernen Reich, meine Lieben«, wisperte sie, »ist der Zigeuner immer ein König. Wusstet ihr das nicht? In einem fernen Reich trägt der Taterkönig eine Krone aus Metall statt aus Blättern. Mag sein, dass er sie abgelegt hat vor langer Zeit. Weil sie seine Stirn versengte. Weil das Eisen unter all dem Gold die Stimme des Landes in seinen Ohren zum Verstummen brachte. Aber irgendwo, in einem fernen, fremden Reich, liegt sie auf einem Thron und wartet auf ihn. Nun sagt mir, welcher Vater könnte da ewig widerstehen, wenn ein solcher Mann um seine Tochter anhalten würde?«
    Sie wartete einen Moment. Wie sie es immer noch genoss, diese gespannten Blicke, diese Erwartung, die die Geschichten wecken konnten, überall, jederzeit. Dann wechselte sie den Tonfall, lehnte sich zurück und sagte leichthin:
    »Nun, meiner hat es jedenfalls nicht gekonnt. Und irgendwann, irgendwie gibt es meistens auch eine Art von Versöhnung mit den Umständen. Vielleicht begann es schon nach dem ersten Krieg, als alles auf den Feldern verwüstet war und mein Vater feststellte, dass die Pflanzen wieder zu Kräften kamen, wenn er nur den ungewollten Heiratsbewerber ab und an allein seine Spaziergänge über
die Felder machen ließ. Und wenn er - und auch das lernte er irgendwann - in jeder Ecke eines jeden Feldes einen kleinen Winkel Brachland stehen ließ. Wo die wilden Blumen sich verstecken konnten, die Rehkitze und die Kräuter, deren Namen keiner mehr kennt. Aber das sind so kleine Geheimnisse …«
    »Und … und Großonkel Peter?« Die Enkelin fürchtete, dass Mina aufhören könnte zu erzählen. »Mama sagt, er wäre jung gestorben. Haben ihn die Tater nicht zu seiner Mutter zurückgebracht?«
    »Doch, meine Kleine, natürlich haben sie das. Und an diesem Tag warf sie alle Spiegel aus dem Fenster und kümmerte sich nicht darum, dass sie krachend zerbrachen. Und glaub mir, es hat ihr kein Pech gebracht. Nun, der kleine Peter …«
    Sie seufzte hinter dem Vorhang der Erinnerungen.
    »Es war nicht leicht für ihn. Er wusste nicht mehr, wie man läuft, wie man spielt. Wie man ein Kind ist in einem Garten, in dem er von da an graben durfte, wo immer er wollte, und Blumen pflücken, so viele er tragen konnte. Aber er tat sich schwer mit den Menschen. War scheu, zog sich in den Garten zurück. Seine Mutter hütete ihn, und er wurde zwanzig, zweiundzwanzig Jahre alt unter ihren Fittichen. Das war sehr viel für jemanden wie ihn, wenn auch lange nicht genug. Aber ich glaube, unter den letzten fünfzehn Jahren waren viele Momente, in denen er glücklich war. Und mehr, meine Lieben, mehr kann sich kaum ein Mensch erhoffen.«
    Sie sah die nächste Frage schon, bevor die Enkelin sie aussprach.
    »Und die Tater? Was ist mit ihnen geschehen? Bist du
wirklich zu ihnen zurückgeritten, eines Tages? Und hast du sie häufiger gesehen? Was ist aus Lilja geworden, und aus der schönen Rosa?«
    »Kleines«, sagte die Mutter plötzlich, »das ist eine andere Geschichte. Lass es gut sein, Großmutter ist erschöpft.«
    Ja, erschöpft war sie. In diesem Moment spürte sie es. Erschöpft bis an den Tod. Mina lehnte sich in den Kissen zurück, mit straffen Schultern, wie um sich gegen einen heftigen Schlag zu wappnen. Aber es waren nur die Worte, vor denen sie sich fürchtete. Die Worte, die auf ihrer Zunge hockten, die hinauswollten und die alles mit sich aus den Tiefen ziehen würden.
    Wie bunt war das Leben mit Karol gewesen. Wie reich, wie seltsam, bestrickend und einzigartig. Eine Weile, eine funkelnde Weile lang. Nicht lang genug … Die anderen Stunden waren gekommen, die kalten, die grauen, die schlimmen. Stunden, die sich schließlich zu Jahren dehnten. Zu zweit zuerst, und mit den kleinen Kindern; später nur noch allein mit ihnen. Allein, als er glaubte, gehen zu müssen, helfen zu müssen, dort, wo nicht zu helfen war. Als die Musik abbrach und beißender Rauch aufstieg und alles
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