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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
Autoren: Lilach Mer
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etwas, das ganz ruhig blieb. Unbewegt, wie der tiefste Grund des Sees. Geduldig, wie der Ackerboden, der er vielleicht einmal gewesen sein mochte, bevor das Wasser kam und ihn bedeckte. Entschlossen, wie ein Samenkorn, das immer noch darin stak, tief im Schlamm verborgen; ein Samenkorn, das all seine Kräfte zusammenhielt und war tete, auf den einen Tag, wenn die Sonnenwärme es wecken würde. Es ließ nicht zu, dass das Mitleid bis in die tiefsten Tiefen drang. Dass es aufweichte, verwässerte, was mehr in ihr war als nur ein Wunsch - ein Entschluss. Sie fühlte ihn, seine harten, scharfen Kanten, und sie ahnte die Schmerzen, die er verursachen würde, wie der Brocken aus Schuld es getan hatte. Aber sie hielt ihn fest.
    Karol sah sie immer noch unverwandt an.
    »Das Land«, sagte er leise in ihre Gedanken hinein, »weiß nichts von Schuld. Aber auch nichts von Unschuld. Es kennt nur eins, das Leben, was in ihm strömt. Es braucht
keine Rechenschaft. Aber das Land ist groß und alt, und wir, Mina, sind winzig und hilflos wie Kinder.«
    »Nicht so winzig.« Mina erwiderte seinen Blick. »Und nicht so hilflos. Wenn du wartest, wirst du es sehen. Wirst du …«, ihre Entschlossenheit zitterte plötzlich, und ihre Stimme wurde klein. »Wirst du das - warten?«
    Sein Lachen, hell wie der Fluss über Steinen, kitzelte ihre Wangen.
    »Herr Tausendschön«, sagte er und nahm jetzt ihre beiden Hände in seine, »hat wirklich oft Recht mit dem, was er sagt. Manchmal bist du ein ungewöhnlich dummes Mädchen, Mina.«
    »Aber wie«, flüsterte sie, voll neuer, unbekannter Furcht, voll Scham, »wie kann ich denn … sicher sein?«
    Er deutete mit dem Kinn, dorthin, wo der kleine goldene Schlüssel immer noch zwischen Weidenblättern lag, so, wie er von seinem Mund geglitten war.
    »Brauchst du ein Zeichen, meine Mina? Dann lass ihn Zeichen sein. Er ist doch ohnehin nie mehr gewesen als das.«
    Nie mehr …? Sie stutzte, wollte widersprechen. Karol schüttelte den Kopf.
    »Nicht wichtig, meine Mina. Gar nicht wichtig. Wenn du ihn brauchst, wenn du ihn willst, nehme ich ihn von dir und gebe ihn dir wieder, und er kann mein Zeichen für dich sein.«
    Mit den Fingerspitzen pflückte er den Schlüssel aus Blättern und Gras. Hielt ihn hoch, ließ das Abendlicht rot auf ihm tanzen.
    »Willst du, dass es so sein soll, Mina?«
    »Ja«, wisperte sie.

    »Hör mich, kleiner Schlüssel«, sagte Karol, und seine Stimme, leicht, beinahe scherzhaft zuerst, wurde voller und mächtiger mit jedem weiteren Wort. »Hör auch du, Bach, und du, alter Weidenbaum, und Regen und Licht, ihr alle, hört Karol, den Tater, der spricht. Ein Versprechen ist gegeben worden, und es soll nicht gebrochen werden. Die Erde soll sich daran erinnern; das Metall, das von ihr stammt, soll sich daran erinnern. Es soll ein Hauch sein im Nachtwind, ein Flüstern im Sonnengras. Ein Rauschen in jedem Kornfeld. Ihr alle werdet es hören, und Mina und Karol, sie werden es hören, jeden Tag, jede Nacht. Und werden wissen: Ein Versprechen ist gegeben worden. Es wird nicht gebrochen werden.«
    Er öffnete ihre Hand, behutsam, und der Schlüssel glitt hinein. Sie umschloss ihn mit ihren Fingern, ganz sanft. Karol lächelte ihr zu.
    »Dann«, sagte sie langsam, »dann bin ich jetzt bereit, die Reise zu beenden. Wenn du«, ein flirrendes Kichern, von irgendwoher in ihr, zerrupfte die ernsten Worte, »wenn du mir zuerst aufs Pferd hilfst, heißt das.«
     
    Sie kam mit den Amseln zurück auf das Gut. Mina hörte sie, während die Landstraße unter den Pferdehufen sich zu immer vertrauteren Biegungen wand. Steinchen rollten davon in die niedrigen Büsche, und das Feld rauschte. Die Dämmerung lag blau auf den Halmen. Und irgendwo, hinter den Bäumen in der Ferne, warfen sich kleine schwarze Körper durch die kühler werdende Luft, scharf vor dem Dunst wie Scherenschnitte.
    An dem Tor aus schwarzem Eisen hielt sie an. Hinter den Ranken, dem kiesbestreuten Vorplatz lehnte das Gutshaus
behäbig und schwer auf dem Land, und der geschwungene Giebel stach in den dunkler werdenden Himmel. Da war die Treppe, und die Küchenfenster daneben. Die Haustür, die glänzende Klinke aus Messing feurig im letzten Licht. Die roten Portieren des Damensalons hinter den Fensterscheiben, die weißen Spitzengardinen, still, unbewegt, wie schlafend. Keine Laute; nur das Singen der Amseln. Mit den Fingern strich Mina über den breiten Steinpfosten, der das Tor hielt: Ja, es war noch da, das eingekratzte
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