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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
Autoren: Lilach Mer
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hierbleiben, hier, bei dir.« Etwas wie Verlegenheit stieg ihr warm in die Wangen, kaum dass sie es ausgesprochen hatte. Aber Karol lachte nicht. Er nahm ihre verbundene Linke, so sanft, dass sie keine Schmerzen spürte.
    »Du bist sehr jung«, sagte er.
    Sie musterte ihn forschend. Nach seinem Gesicht und seiner Gestalt war er nur wenige Jahre älter als sie. Ein junger Mann; aber die feinen Falten um seine Augen gingen tief. Und seine Augen selbst … Sie wechselten mit dem Licht, mit den Wolken. Mit Blättern, die auf seinen Scheitel fielen. Sie waren Baum, waren Wasser und Wind - aber ein Alter hatten sie nicht.
    Mina legte den Kopf schief. Mit einem Mal fühlte sie sich seltsam heiter.

    »Ist das deine Art, mir einen Korb zu geben?«, fragte sie, und es war das erste Mal in ihrem Leben, das sie etwas machte, was Mademoiselle mit Fug und Recht eine kokette Bemerkung genannt haben würde.
    Karol begegnete ihr mit einem so ratlosen, verwirrten Blick, dass sie lachen mussten.
    »Nein, nein«, sagte er hastig; er, nicht der Taterkönig, nicht der geheimnisvolle Drehorgelspieler, nur der junge Mann, der bei ihr saß und ihre Hand hielt.
    »Ich bin jung«, sagte Mina, »aber ich werde älter. Mit jeder Minute, die vergeht.«
    Karol lächelte nicht.
    »Gut«, sagte er leise, »aber auch in ein paar Stunden, in ein paar Tagen und Monaten wirst du noch Mina sein; Mina, die Gutshaustochter. Und ich werde ich sein. Ich weiß nicht mehr viel über die Welt, aber daran erinnere ich mich doch: Väter sind nicht glücklich, wenn ihre Töchter mit Zigeunern davonlaufen wollen.«
    »Ich will nicht davonlaufen!« Die Heiterkeit wurde brüchig. Beinahe hätte sie mit dem Fuß ins feuchte Gras gestampft wie ein trotziges Kind. »Ich will … du bist doch … und ich will wirklich …«
    »Ich weiß. Aber er wird es nicht verstehen.«
    Das Bild ihres Vaters wollte sich unter die Weide drängen; der steife weiße Kragen, der pfeilgerade Schnurrbart darüber. Heftig schüttelte sie den Kopf.
    »Dann tun wir es doch, wir laufen fort, und er erfährt nichts davon!«
    »Das kannst du nicht, Mina. Deine Reise hat zu Hause begonnen; und zu Hause endet sie auch.«
    »Aber ich will nicht mehr reisen!«

    Jetzt lächelte er, sie fühlte es auf ihrem eigenen Mund.
    »Und da«, sagte er, »willst du dich ausgerechnet an einen Tater binden?«
    Sie öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Schluckte. Musste von ihm wegsehen, nach unten, um wenigstens flüstern zu können:
    »Ja, das will ich.«
    Er schwieg, aber es lag nichts Abweisendes darin.
    Das Bild des Vaters kehrte zurück, und diesmal verjagte sie es nicht. Auch nicht die Mutter, deren müde Augen sie dahinter ahnen konnte. Um sie her begann die Stille des Gutshauses zu hallen; die leeren Räume voller teurer Möbelstücke. Wie das Puppenhaus kam es ihr vor, mit dem sie gespielt hatte, allein - steif und leblos, bis auf den Dachboden, wo sie getanzt hatte, und auch dort immer allein. Allein, bis auf den schwachen Widerklang von etwas, das bei ihr hätte sein sollen; etwas, das nur noch lebte in einer kleinen Melodie und in zwei verblassten Bildern.
    Es schnürte ihr die Kehle zu.
    »Sie«, brachte sie mühsam hervor, »sie haben sie weggebracht und dann so getan, als hätte es sie niemals gegeben. Dabei gehörten sie auch zu mir.«
    »Ja«, sagte Karol sanft.
    »Sie haben mir etwas weggenommen.« Mina fuhr sich mit dem Ärmel über das Gesicht, schluckte wieder. »Etwas, das sie mir nicht wiedergeben können. Weil es fort ist; endgültig fort. Aber du - du bist nicht fort. Du bist hier.«
    »Mina«, sagte er, »sieh mich an.«
    Sein Gesicht war nass, wie ihres; ob vom Regen oder von anderem, konnte sie nicht sagen. Tropfen hingen in seinen
Wimpern und färbten seine Augen wieder wasserfarben. Sein Blick hielt ihren fest.
    »Ist das denn der Weg, den du gehen willst?«, fragte er. »Denk gut nach, bevor du antwortest.«
    Sie fühlte in sich hinein, nach dem bleischweren Brocken, der solange dort gelegen hatte, dass sie ihn immer noch ahnen konnte. Ich bin schuld … Wie es gescheuert hatte, auch wenn es nicht wahr gewesen war! Wie er sie gequält hatte, Tag um Tag. Und dabei - war es nichts gewesen, weniger als nichts, im Vergleich zu den brennenden Felsen, die hinter Vaters ruhiger Miene liegen mussten, Mutters stiller Art … Mitleid überschwemmte sie, dunkel wie der Brutsee. Wollte sie fortspülen, in die Arme der Eltern hinein, wollte nichts als vergessen, vergeben. Aber darunter lag
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