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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
Autoren: Lilach Mer
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die Enkelin. »Außerdem sieht man dann das Auto nicht so sehr. Es passt nicht richtig hierher, finde ich. Eine Kutsche würde dem Haus besser stehen.«
    »Eine Kutsche«, die alte Frau lachte leise. »Meine Kleine, in Kutschen ist es zugig und unbequem, und es holpert so sehr, dass man sich gegenseitig auf den Schoß springt.«
    »Und das«, sagte die Tochter mit einem halben Lächeln, »auch wenn man sich noch gar nicht richtig vorgestellt wurde!«
    »Liebchen, du überraschst mich.« Die alte Frau stützte sich auf die Ellenbogen. »Ironie am frühen Morgen? - Ihr beiden, ich hätte gern, dass ihr euch ein Weilchen zu mir setzt, wenn es euch recht ist.«
    Sie fühlte die Wachsamkeit, die plötzlich den Raum erfüllte. Ihre Tochter rückte halbabgewandt die Gegenstände auf dem Tablett zurecht, Kaffeetasse, Kringelteller, all die schönen, unnützen Dinge. »Natürlich, Mama. Wenn du es möchtest.«
    »Ich sitze ja schon.« Auf der Bettkante wippte die Enkelin fröhlich mit den Füßen. Vorlaut war sie; aber man konnte es ihr nicht übelnehmen. Das ganze Bett vibrierte unter ihrer Lebhaftigkeit.
    Als die Tochter sich einen Stuhl auf der anderen Seite herangezogen und die Hände in den Schoß gelegt hatte, als säße sie in der Kirche, fühlte die alte Frau sich auf einmal
befangen. Wie arglos ihre Gesichter waren, selbst das ihrer Tochter, das Sorgen und Misstrauen kannte! Wie sagte man den Menschen, die man so schmerzlich liebte, dass es einen sprachlos machte, dass man sie verlassen würde? War es nicht besser, sie blieben ohne das Wissen, bis die Wirklichkeit alles von allein erledigte?
    »Großmama«, wieder lehnte sich die weiche Mädchenwange an ihre. »Was hast du nur? Du siehst so ernst aus. Komm, soll ich dir von der Schule erzählen?«
    Sie streichelte sie sanft, aber ablehnend.
    »Liebchen.« Ihre Augen suchten nach denen ihrer Tochter, ohne sie zu finden. »Ich möchte, dass du heute den Frost am Fenster einmal Frost sein lässt und stattdessen das Fenster … das Fenster einfach nur öffnest. Könntest du das für mich tun? Ich möchte, dass es heute den ganzen Tag über offen bleibt, und auch noch am Abend. Keine Sorge«, sie kam mit einer entschiedenen Handbewegung den Protesten zuvor, »ich wickele mich warm ein und nehme eine Wärmflasche ins Bett. Und so kalt ist es tagsüber auch nicht mehr. Öffne einfach das Fenster für mich. Ich kann den schweren Riegel nicht mehr bewegen. Und ich möchte … Ich möchte die Schwäne draußen beim Teich gerne hören.«
    Jetzt blickten sie sie an, die Augen, hell und klar wie Glas, und zornig, so zornig.
    »Mama, was ist denn das wieder für ein Unsinn? Es ist noch viel zu kalt, Schwäne sind Zugvögel!«
    »Höckerschwäne nicht!« Das Mädchen hatte, ohne es zu merken, einen Finger gehoben wie in der Schule. Die alte Frau nickte ihm zu.
    »Richtig. Die Höckerschwäne hier oben bei uns im Norden
fliegen nicht weg, sie bleiben uns treu. Ich weiß, dass welche beim Teich unten sind, ich habe sie gestern schon gesehen, als ihr mich in den Wintergarten gebracht habt. Und ich liebe … ich liebe es, ihnen zuzuschauen.«
    Die Tochter sprang auf.
    »Ich sehe nicht ein, was das soll, Mama; wieder deine Launen! Es sind nur ein paar große, dumme Vögel dort draußen, mehr nicht. Mehr nicht! Hör auf, immer überall etwas hineinzugeheimnissen.«
    Sie drehte sich um, zur Tür hin.
    »Bleib hier.«
    Ja, sie konnte es immer noch: ihrer Stimme, die das Alter so spröde gemacht hatte, diesen machtvollen Glanz verleihen. Ihre Tochter war stehen geblieben, die Hand auf der Klinke, den Kopf trotzig gesenkt. Die alte Frau seufzte unhörbar.
    »Bleib hier, mein Liebchen. Ich bitte dich.«
    »Ich will solchen Unsinn nicht hören.« Der Kopf hob sich nicht. Die Blicke der Enkelin sprangen hin und her wie zwei ängstliche Hasen. Die alte Frau streichelte ihr beruhigend den Handrücken.
    »Du weißt«, sagte sie, »dass das kein Unsinn ist. Ich rede nur sehr selten Unsinn, und wenn, dann weiß ich es.«
    »Unsinn, Blödsinn, dummes Zeug! Ich habe genug davon, hörst du? Für ein ganzes Leben genug. Deine Launen, deine Geschichten … Alles nur Unfug! Und ich will auch nicht«, der Kopf flog hoch, mit brennend blauen Augen, »ich will nicht, dass du ihr das in den Kopf setzt! Sie ist ein kluges Mädchen, kommt gut zurecht in der Schule, hat Freundinnen. Ich will, dass das so bleibt!«
    Ein paar Sekunden, in denen nur Atemzüge das Zimmer
füllten, heftige, ruhige und angstvolle.
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