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Verfuehrung in aller Unschuld

Verfuehrung in aller Unschuld

Titel: Verfuehrung in aller Unschuld
Autoren: Annie West
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1. KAPITEL
    Fünf grauenhafte Jahre lang hatte Lucy von ihrem ersten Tag in Freiheit geträumt. Von einem wolkenlos blauen italienischen Sommerhimmel, einer milden Brise, Zitronenduft und Vogelgezwitscher.
    Stattdessen hatte sie nur den vertrauten Geruch in der Nase. Backstein, Zement und Stahl, getränkt mit dem scharfen Aroma von Verzweiflung und Industriereiniger. Den ganz speziellen Mix, der sich Strafanstalt nannte.
    Lucy schauderte. Was wäre, wenn es sich um ein Missverständnis handelte? Wenn die wuchtige Metalltür vor ihr verschlossen blieb?
    Der Gedanke, in ihre Zelle zurückkehren zu müssen, versetzte sie in Panik. Die Freiheit zum Greifen nah und doch unerreichbar, das wäre unerträglich!
    Der Wachmann tippte den Code ein. Lucy trat vor, die Tasche fest in den klammen Händen, das Herz vor Aufregung wild pochend.
    Das Tor öffnete sich, und sie ging hindurch.
    Kein Zitronenduft, nur Abgase. Kein blauer Himmel, nur eine düstere graue Wolkendecke. Kein Vogelgezwitscher, nur lärmende Autos.
    Und wenn schon. Sie war frei!
    Jetzt konnte sie tun und lassen, was sie wollte. Sie konnte ihr Leben weiterleben. Sie würde einen Billigflug nach London buchen und sich dort vor ihrer Weiterreise nach Devon eine Nacht Erholung gönnen. In einem ruhigen Hotel mit einem bequemen Bett und Heißwasser im Überfluss …
    Die Stahltür fiel krachend hinter ihr ins Schloss. Ein Stück die Straße hinunter wurden Stimmen laut. Lucy wandte den Kopf und entdeckte eine Gruppe von Leuten vor dem Haupttor, ausgerüstet mit Kameras und Mikrofonen. Die Presse!
    Es lief ihr eiskalt den Rücken hinunter. Sie wollte gerade in die andere Richtung davongehen, da brach hinter ihr ein wahrer Tumult los. Schnelle Schritte, Rufe, das Knattern eines Motorrollers.
    „Lucy! Lucy Knight!“, schallte es hinter ihr her. Die Meute hatte Blut geleckt.
    Lucy beschleunigte ihre Schritte, doch der Rollerfahrer holte sie ein und versperrte ihr den Weg. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, knipste er ein Foto nach dem anderen von ihr.
    Schon scharten sich die Reporter um sie und hielten ihr Mikrofone unter die Nase. Sie musste sich sehr zusammenreißen, um nicht schreiend davonzulaufen. Nach all den Jahren allein in ihrer Zelle versetzte es sie in Panik, so bedrängt zu werden.
    „Wie fühlen Sie sich, Lucy?“
    „Was haben Sie für Pläne?“
    „Haben Sie unseren Zuschauern etwas mitzuteilen? Oder der Familie Volpe?“
    Aus der verwirrenden Flut von Fragen drang scharf der Name Volpe zu ihr durch. Erschrocken hielt sie den Atem an, hilflos dem Blitzlichtgewitter und den neugierigen Blicken ausgeliefert.
    Sie hätte es wissen müssen.
    Aber das Ganze war fünf Jahre her! Sie hatte gedacht, es wäre längst Gras darüber gewachsen.
    Was wollten die Leute jetzt noch von ihr? Sie hatten ihr schon so viel genommen.
    Vielleicht hätte sie das Angebot der britischen Botschaft annehmen sollen, sie zum Flughafen zu bringen. Doch sie hatte sich ja dummerweise in den Kopf gesetzt, sich auf niemanden mehr zu verlassen.
    Die britischen Behörden hatten sie damals nicht davor bewahrt, in die Mühlen der italienischen Justiz zu geraten, also erwartete sie auch jetzt keine Hilfe von dieser Seite. Und von keiner anderen.
    Das hast du jetzt von deinem albernen Stolz, dachte Lucy und bahnte sich mit versteinerter Miene einen Weg durch die Menge. Ohne ihre Ellbogen zu benutzen oder laut zu werden, schob sie sich mit der eisernen Disziplin vorwärts, die sie sich im Gefängnis auf die harte Tour hatte aneignen müssen.
    Sie war nicht mehr die unschuldige Achtzehnjährige, die man damals eingesperrt hatte. Sie hatte es aufgegeben, auf Gerechtigkeit zu hoffen. Oder auf einen Retter.
    Retten musste sie sich schon selbst.
    Kein Wort der Entschuldigung kam ihr über die Lippen, als sie zwischen eine Nachrichtenkamera und die dazugehörige Journalistin geriet, die zu viel Make-up und einen zu kurzen Rock trug und der vor Schreck das Mikrofon aus der Hand fiel.
    Ohne nach rechts oder links zu blicken, setzte Lucy stur ihren Weg fort. Sie bekam Platzangst in dem Gedränge, zwang sich aber, nicht panisch die Flucht zu ergreifen.
    Das hätte den Reportern so passen können!
    Vor ihr tat sich eine Lücke auf. Beherzt trat Lucy vor und fand sich umringt von Männern in dunklen Anzügen mit Sonnenbrillen, die eine schwarze Limousine bewachten und die lästigen Reporter auf Abstand hielten. Hier auf diesen wenigen Quadratmetern herrschte eine Ruhe wie im Auge des
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