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Verfuehrung in aller Unschuld

Verfuehrung in aller Unschuld

Titel: Verfuehrung in aller Unschuld
Autoren: Annie West
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jede Schuld von sich zu weisen? Wie konnte sie die Zeugenaussagen von Sandros Familie und seinen Angestellten ebenso ignorieren wie die Tatsache, dass man sie schuldig gesprochen hatte?
    „Sie bleiben also bei Ihrer Geschichte. Warum wollen Sie immer weiterlügen?“, fragte Domenico mühsam beherrscht. Nur aus Pflichtgefühl seiner Familie gegenüber gab er sich überhaupt mit der Mörderin seines Bruders ab.
    „Es ist keine Geschichte, Signor Volpe. Es ist die Wahrheit.“
    Als sie sich in seine Richtung lehnte, fing er ihren zarten Duft nach Kernseife und warmer Haut auf, erotischer als jedes teure Designerparfüm.
    „Ich habe Ihren Bruder nicht umgebracht.“
    Ohne eine Miene zu verziehen, tischte sie ihm ihre Lügen auf. Das trieb ihn zur Weißglut. Wie durch und durch falsch sie war!
    Oder hatte sie Angst, dass er Selbstjustiz üben würde, wenn sie ihre Tat gestand?
    Er malte sich aus, wie er die Hände um ihren schlanken Hals legte … Nein, ein brutaler Racheakt war keine Lösung. Diese Frau würde ihn nicht dazu bringen, seinen guten Namen aufs Spiel zu setzen.
    „Hören Sie doch auf!“, stieß Domenico wütend hervor. „Sie haben Sandro gegen den Kamin gestoßen, er ist gestürzt und hat sich eine tödliche Kopfverletzung zugezogen.“
    Dann besann er sich und atmete tief durch. In seiner Familie hatten die Männer ihre Gefühle unter Kontrolle. Er würde dieser Frau nicht offenbaren, wie sehr er noch immer unter dem tragischen Tod seines Bruders litt.
    „Es war Ihre Schuld. Wäre Sandro Ihnen nie begegnet, würde er jetzt noch leben.“
    Täuschte er sich, oder sah er ein unsicheres Flackern in ihren Augen? Bereute sie ihre Tat? Vielleicht war es auch Wunschdenken, weil er so lange vergeblich auf ein Zeichen von Reue gehofft hatte.
    Kritisch musterte er die junge Frau neben ihm. Ihren geraden Rücken, ihr Kinn, das sie trotzig hob, die im Schoß verkrampften Hände. Sie wirkte jetzt weniger verstört als wachsam und misstrauisch.
    Der Unterschied zu dem jungen Mädchen von damals war frappierend. Offenbar hatte Lucy es aufgegeben, die naive Unschuld zu spielen.
    Was musste er tun, um ihre harte Schale zu knacken?
    „Es wäre besser für Sie, wenn Sie zu Ihrer Schuld stehen würden.“
    „Warum? Weil es guttut, sich die Last von der Seele zu reden?“
    „Das würde Ihnen jeder Psychiater bestätigen.“
    Domenico wusste selbst nicht, warum ihm so viel daran lag, es aus ihrem Mund zu hören. Schließlich war sie offiziell verurteilt worden. Doch ihr hartnäckiges Leugnen konfrontierte ihn mit einer bitteren Wahrheit: Solange Lucy Knight sich nicht zu ihrer Tat bekannte, würde seine Seele keine Ruhe finden.
    Sie hatte ihn in der Hand, und das machte ihn zornig.
    „Glauben Sie, Ihr Ausflug in die Amateurpsychologie würde mich irgendwie beeindrucken?“ Ein hartes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Da müssen Sie schon tiefer in die Trickkiste greifen, Signor Volpe. Was die Profis nicht geschafft haben, schaffen Sie erst recht nicht.“
    „Die Profis?“
    „Ja, sicher. Ich musste mich auf meinen Geisteszustand hin untersuchen lassen, wussten Sie das? Wahrscheinlich habe ich noch Glück gehabt, dass ich nicht im Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter gelandet bin.“
    Ihre Blicke trafen sich, und einen winzigen Moment lang flackerte so etwas wie Sympathie zwischen ihnen auf.
    Domenico war irritiert. Jede Annäherung an Lucy Knight war ein Verrat an Sandro.
    „Sie leben und beklagen sich über Ihr Schicksal, aber meinem Bruder haben Sie alles genommen“, sagte er zornig.
    „Und dafür wollen Sie mich bestrafen? Haben Sie mich von der Presse weggelotst, um mich ungestört in die Mangel nehmen zu können?“
    Sie lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Fantastische Beine, die selbst unter dem schäbigen blauen Kostümrock großartig zur Geltung kamen.
    Sie und ihr scheues Lächeln waren ihm damals als Erstes an ihr aufgefallen. Kein Wunder, dass sie vor Gericht ständig einen Rock getragen hatte!
    Es hatte damals nicht funktioniert, und es funktionierte jetzt nicht.
    „Sie haben eine blühende Fantasie“, meinte er herablassend. „Ich weiß Besseres mit meiner Zeit anzufangen, als mich mit Ihnen zu unterhalten.“
    „Dann haben Sie sicher nichts dagegen, wenn ich die Aussicht genieße.“
    Er hielt das für einen Vorwand. Bis ihm einfiel, dass Lucy Knight seit Jahren keine Straße mehr gesehen hatte.

2. KAPITEL
    Domenico Volpes Nähe war noch schwerer zu ertragen,
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