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Verfuehrung in aller Unschuld

Verfuehrung in aller Unschuld

Titel: Verfuehrung in aller Unschuld
Autoren: Annie West
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Orkans.
    Misstrauisch musterte Lucy den teuren Wagen mit den getönten Scheiben, der auf sie zu warten schien. Ihre Freunde hatten sich im Laufe der letzten Jahre verflüchtigt, und ihre Familie konnte sich so ein Luxusgefährt nicht leisten.
    Einer der Männer hielt ihr die Wagentür auf, und neugierig spähte Lucy hinein.
    Graue Augen, kühl glitzernd wie ein vereister See, sahen ihr entgegen. Als Nächstes nahm sie dichte dunkle Augenbrauen und ebensolches kurz geschnittenes Haar wahr.
    Der Lärm der Reporter versiegte, als Lucy wie gebannt das Gesicht des Mannes im Innern des Wagens betrachtete.
    Täuschte sie sich, oder rümpfte er kaum merklich die Nase über den ordinären Gefängnisgeruch, der ihr vermutlich anhaftete?
    Hohe Wangenknochen, ein markantes Kinn und ein entschlossener, abweisend wirkender Mund vervollständigten seine stolzen, regelmäßigen Züge.
    Es knisterte förmlich zwischen ihnen, als sie einander in die Augen sahen.
    „Domenico Volpe!“, rief Lucy schockiert.
    Doch nicht er!
    „Sie erinnern sich an mich?“, fragte er in geschliffenem Englisch. Es klang, als wollte er mit Leuten wir ihr lieber nichts zu tun haben.
    Lucy ließ sich nicht anmerken, wie gekränkt sie war. Sie hatte in den letzten Jahren eine ausgefeilte Taktik entwickelt, Aggressionen und Beleidigungen mit ausdrucksloser Miene an sich abprallen zu lassen.
    „Selbstverständlich erinnere ich mich an Sie.“
    Als könnte ich dich jemals vergessen!
    Irgendwann vor langer Zeit hatte sie einmal gehofft …
    Nein, Schluss damit. So lächerlich naiv war sie schon lange nicht mehr. Sein Anblick setzte eine Flut von Erinnerungen in Gang, von denen sie die älteren, glücklichen lieber ausblendete.
    „Sie haben keinen Tag des Prozesses versäumt.“
    Die lärmenden Reporter ringsum erinnerten sie qualvoll an jene Zeit.
    „Was hätten Sie an meiner Stelle getan?“ Domenico Volpes Ton, sanft und gefährlich zugleich, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Hatte sie nicht neulich gelesen, dass die königlichen Auftragsmörder des Ottomanischen Reichs ihre Opfer mit Seidenschals zu erdrosseln pflegten?
    Nein, Domenico Volpe würde nie so tief sinken, sich an ihr zu vergreifen. Aber er würde auch keinen Finger rühren, um sie zu retten. Obwohl sie beide vor langer Zeit ein paar flüchtige Stunden verheißungsvoller Nähe erlebt hatten …
    Wie kam sie dazu, mit diesem Mann, der ihr nur Schlechtes wünschte, zu reden? Schweigend wandte Lucy sich zum Gehen, doch ein Hüne im dunklen Anzug versperrte ihr den Weg.
    „Bitte, Signorina.“ Er wies auf die offene Wagentür. „Steigen Sie ein.“
    Zu Domenico Volpe? Dem Mann, der für alles stand, was in ihrem Leben schiefgegangen war?
    Sie lachte hysterisch und versuchte, sich an dem Mann vorbeizudrängeln, doch er hielt sie fest.
    „Finger weg!“ Eine jahrelang aufgestaute Mischung aus Verwirrung, Verzweiflung und Wut stieg wie brodelnde Lava in ihr auf.
    Niemand hatte das Recht, sie herumzukommandieren.
    Jetzt nicht mehr.
    Bevor Lucy sich bremsen konnte, überschüttete sie den Mann mit einer Salve derber italienischer Flüche, die sie vor ihrem Gefängnisaufenthalt nicht einmal auf Englisch gekannt hatte. Diese Ausdrücke gehörten sicher nicht zum Wortschatz eines Domenico Volpe und seiner vornehmen Sippe, denn sie waren unter Kriminellen und Gestrauchelten üblich.
    Sie musste es wissen, denn sie war genug von ihnen begegnet.
    Erst als der Bodyguard verblüfft vor ihr zurückwich, verstummte sie peinlich berührt. So unbeschadet, wie sie gedacht hatte, hatte sie den Strafvollzug wohl doch nicht überstanden.
    Eben noch hätte sie vor Freude über ihre Entlassung jubeln können, aber jetzt verließ sie der Mut. Wie lange würde ihr der Gefängnisgeruch noch anhaften? Wie nachhaltig hatte diese Zeit sie geprägt?
    Lucy riss sich zusammen, schloss die Finger fester um den Griff ihres Koffers und marschierte los. Diesmal ließ der Bodyguard sie unbehelligt passieren.
    Lieber lief sie einer ganzen Meute von Reportern in die Arme, als eine Minute länger im Dunstkreis dieses Mannes zu verweilen.
    „Tut mir leid, Boss. Ich hätte sie aufhalten sollen, aber die Presse …“
    „Schon gut, Rocco. Ich will nicht in der Zeitung lesen, dass ich Lucy Knight entführt habe“, meinte Domenico grimmig. Seine Schwägerin Pia regte sich schon genug auf.
    Unbehaglich beobachtete er, wie die schmale Gestalt von der wartenden Menge eingekreist wurde. Aus unerfindlichen Gründen hatte er das
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