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Der Schuldige: Roman (German Edition)

Der Schuldige: Roman (German Edition)

Titel: Der Schuldige: Roman (German Edition)
Autoren: Lisa Ballantyne
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Beweis dafür gibt, dass Sebastian Ben getötet hat: keine kriminaltechnischen Beweise, die mit einer Verletzung dieser Art vereinbar sind, keine Fingerabdrücke auf dem Mordwerkzeug, keine Zeugen des tatsächlichen Angriffs – dann müssen Sie zu dem einzigen logischen Schluss kommen, der bleibt. – Die Anklage muss zweifelsfrei beweisen, dass der Angeklagte schuldig ist. Die Beweislast liegt bei der Anklage, nicht bei der Verteidigung. Sie müssen jetzt überlegen, ob dies erreicht wurde oder ob Sie vielmehr die Indizien anzweifeln, die Ihnen präsentiert worden sind. Es ist kein hartgesottener Verbrecher mit einem Haftstrafenregister, der vor Ihnen steht. Dies hier … ist ein kleiner Junge. – Wenn Sie aus Ihrem Geschworenenzimmer zurückkommen, wünsche ich mir, dass Sie sich sehr sicher … sehr sicher sind, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Ich weiß, Sie werden die Fakten so sehen, wie sie sind, und erkennen, dass Sebastian … nicht schuldig ist. – Wenn Sie glauben, dass Sebastian unschuldig ist, müssen Sie ihn freisprechen. Wenn Sie glauben, dass Sebastian wahrscheinlich unschuldig ist, müssen Sie ihn freisprechen. Selbst wenn Sie meinen, dass Sebastian vielleicht unschuldig ist, müssen Sie ihn freispre chen.«
    Irene sammelte ihre Notizen ein. »Danke für Ihre Aufmerksamkeit.«
    Das Resümee des Richters dauerte wie erwartet den ganzen Nachmittag, dann wurden die Geschworenen entlassen, um über den Urteilsspruch zu beraten.
    Daniel arbeitete bis spät im Büro und ging dann ins Crown zu einem Drink kurz vor der Sperrstunde. Er schickte Irene eine SMS , als er sein Bier halb ausgetrunken hatte: »In Gedanken an morgen. Nicht sicher, ob ich Bock drauf habe. Hoffe dir geht es ok.« Es kam keine Antwort.
    Der nächste Tag war ein Freitag, und Daniel arbeitete den ganzen Morgen, bis er den Anruf erhielt, dass die Geschworenen zu einem Spruch gelangt waren.
    Alle versammelten sich wieder im Gerichtssaal: Anwälte, Familien, Journalisten und Publikum. Sebastian saß neben Daniel und wartete auf die Entscheidung, die sein ganzes übriges Leben bestimmen würde.
    Daniel schaute sich um, als das Gericht Einzug gehalten hatte. Minuten vergingen wie benommen, ein Flimmern von Vorgängen. Er blickte hinunter auf den kleinen Jungen neben sich und bemerkte erneut den kühnen Schwung seines Kinns, die jungen grünen Augen, erwartungsvoll, wachsam.
    Er legte Sebastian eine Hand auf den Rücken. Er schien heute in einem neuen Hemd zu leiden, das ihm am Kragen zu weit war, dazu trug er eine gestreifte Krawatte. Er blickte zu Daniel hoch und lächelte.
    Baron stand von seinem Stuhl auf und blickte über seine Brille hinweg auf Sebastian und Daniel. »Das Kind braucht nicht aufzustehen.«
    Der Justizangestellte erhob sich und richtete das Wort an die Geschworenen. »Würde sich der Obmann bitte erheben?«
    Der Obmann war eine Frau. Sie stand auf und faltete die Hände vor ihrem Bauch.
    »Sind Sie zu einem einstimmigen Urteilsspruch gelangt?«
    »Ja«, sagte die Frau in mittleren Jahren mit klarer Stimme.
    »Sprechen Sie den Angeklagten, Sebastian Croll, des Mordes an Benjamin Stokes schuldig oder nicht schuldig?«
    Daniel konnte nicht atmen. Die Luft stand. Jedes Augenpaar in dem dicht besetzten Gerichtssaal war auf die Lippen der Frau gerichtet und wartete darauf, dass sie sprach. Daniel spürte die Spannung, die von dem Jungen neben ihm ausging.
    Als Tyrel auf der Anklagebank gesessen hatte, hatte sich Daniel weit entfernt von ihm und machtlos gefühlt. Doch jetzt war es noch schlimmer mit Sebastian neben sich: Er spürte, wie dessen Arm seine Seite streifte, beobachtete das fast nicht wahrnehmbare Schaukeln seines Körpers und roch sein sauberes Haar. Obwohl sein kleiner Mandant direkt neben ihm saß, konnte er Sebastian nicht mehr Schutz bieten als Tyrel.
    Sollte Sebastian des Mordes für schuldig befunden werden, bliebe dem Richter keine Wahl, und er würde ihn zu Haft auf unbestimmte Zeit verurteilen müssen. Auch nach der Verurteilung würde über die Länge von Sebastians Haft nicht durch Juristen, sondern durch das Innenministerium entschieden werden. Das Leben des Jungen hinge dann von politischen Sachzwängen ab, wobei die Wahrscheinlichkeit groß war, dass der Innenminister die Strafe verlängern würde, um die Empörung der Öffentlichkeit und der Medien zu beschwichtigen.
    Daniel dachte an die Jahre, die der Junge in Jugendarrestanstalten und später in Erwachsenengefängnissen zubringen
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