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Der Schuldige: Roman (German Edition)

Der Schuldige: Roman (German Edition)

Titel: Der Schuldige: Roman (German Edition)
Autoren: Lisa Ballantyne
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der Barnsbury Road. Ein Mann aus der Nachbarschaft berichtete, er hätte im Barnard Park zwei kleine Jungen sich prügeln sehen. Auf einen der Jungen passte die Beschreibung von Ben. Er sagte, er hätte den Jungen zugerufen, sie sollten aufhören, und der andere Junge habe ihn angelächelt – und gesagt, sie spielten doch nur. Als wir uns an Bens Mutter mit der Beschreibung des anderen Jungen wandten, nannte sie Sebastian Croll – den Jungen da drinnen –, der von den Stokes’ nur ein paar Türen weiter wohnt. Sebastian war im Richmond Crescent allein zu Hause – das dachten wir jedenfalls –, als heute Nachmittag um vier zwei Beamte dort vorbeischauten. Sebastian erzählte den Beamten, seine Mutter wäre nicht da und sein Vater sei auf Geschäftsreise im Ausland. Wir trieben einen geeigneten Sozialarbeiter auf und nahmen ihn wenig später mit aufs Revier. Von Anfang an war klar, dass er etwas verbarg – der Sozialarbeiter bestand darauf, dass ein Anwalt hinzugezogen würde.«
    Daniel nickte und klappte seinen Schreibblock zu.
    »Ich bringe Sie hin«, sagte Turner.
    Auf dem Weg zum Vernehmungszimmer fühlte Daniel, wie ihn die vertraute Klaustrophobie bedrückte, die er von Polizeirevieren kannte. Die Wände waren mit amtlichen Bekanntmachungen über Alkohol am Steuer, Drogen und häusliche Gewalt vollgeklebt. Alle Jalousien waren heruntergelassen und dreckig.
    Das Vernehmungszimmer war fensterlos. Die Wände waren blassgrün gestrichen und völlig kahl. Sebastian saß unmittelbar vor ihm. Die Polizei hatte dem Jungen die Kleider abgenommen, und er trug jetzt einen weißen Papieranzug, der knisterte, wenn er sich auf seinem Stuhl bewegte. Der viel zu große Anzug ließ den Jungen noch kleiner und verletzlicher erscheinen – jünger als elf. Er war auffallend hübsch, fast wie ein kleines Mädchen, mit einem breiten herzförmigen Gesicht, schmalen roten Lippen und großen grünen intelligenten Augen. Seine sehr helle Haut war quer über die Nase mit Sommersprossen gesprenkelt. Sein Haar war dunkelbraun und ordentlich geschnitten. Er lächelte Daniel an, der das Lächeln erwiderte. Das Kind erschien so jung, dass Daniel fast nicht wusste, wie er mit ihm reden sollte, und alles daran setzte, um seinen Schreck zu verbergen.
    Sergeant Turner begann das gegenseitige Bekanntmachen. Er war ein hochgewachsener Mann – größer noch als Daniel – und erschien zu groß für den kleinen Raum. Er beugte sich nach unten, als er Daniel Sebastians Mutter, Charlotte, vorstellte.
    »Vielen Dank, dass Sie gekommen sind«, sagte Charlotte. »Sehr nett von Ihnen.«
    Daniel antwortete Charlotte mit einem Nicken und wandte sich ihrem Sohn zu.
    »Du bist sicherlich Sebastian?«, sagte er, setzte sich und öffnete seine Aktentasche.
    »Ja, stimmt. Sie können mich ruhig Seb nennen, wenn Sie wollen.«
    Daniel war erleichtert, dass der Junge so offen schien.
    »In Ordnung, Seb. Freue mich, dich kennenzulernen.«
    »Ich freue mich auch. Sie sind mein Anwalt, stimmt’s?« Sebastian grinste, und Daniel zog eine Augenbraue hoch. Der Junge würde sein jüngster Mandant sein, aber so, wie er sich ausdrückte, erschien er selbstbewusster als andere Jugendliche, die er verteidigt hatte. Sebastians suchende grüne Augen und seine aufgekratzte, artige Redeweise entwaffneten ihn. Der Schmuck der Mutter schien mehr zu wiegen als sie selbst; der Schnitt ihrer Garderobe war teuer. Die feinen Fingerknochen ihrer Hände bewegten sich wie Vögel, als sie Sebastians Bein streichelten.
    Der Kleine muss unschuldig sein, dachte Daniel, als er seinen Aktenordner aufklappte.
    Kaffee, Tee und Schokoladenkekse wurden hereingebracht, und Sergeant Turner ließ sie allein, damit Daniel ungestört seinen jungen Mandanten und dessen Mutter kennenlernte.
    »Darf ich bitte einen haben?«, fragte Sebastian, während er seine sauberen, schlanken Finger, die denen seiner Mutter so ähnlich sahen, über den Keksen schweben ließ.
    Daniel nickte und musste über die Höflichkeit des Jungen lächeln. Er erinnerte sich, wie er als Problemkind durch die Erwachsenenwelt gekurvt war, und fühlte sich plötzlich verantwortlich für den Jungen. Er hängte sein noch immer feuchtes Jackett über die Stuhllehne und lockerte seine Krawatte.
    Charlotte fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Sie hielt inne, um ihre manikürten Nägel einer Prüfung zu unterziehen, dann faltete sie die Hände. Daniels eigene Mutter hatte sehr lange Fingernägel gehabt, und solcherart abgelenkt
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