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Der Schrei des Löwen

Der Schrei des Löwen

Titel: Der Schrei des Löwen
Autoren: Ortwin Ramadan
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so intelligent, sondern auch um ein Vielfaches gefährlicher. Ihre Bisskraft stand der eines Löwen in nichts nach.
    »Es gibt keinen Zweifel«, sagte Tupac tonlos. »Seine Freundin hat ihn verpfiffen. Sie hatte Angst, wir könnten uns an ihr und ihrer Familie rächen.«
    Tupac hatte die Ärmel seines Kampfanzuges hochgekrempelt. Sein pockennarbiges Gesicht verriet keinerlei Regung. Big Eagle und er hatten schon im Dschungel des Deltas zusammen gekämpft. Jetzt war er eine Art Leibwächter und die rechte Hand des ehemaligen Milizenführers.
    »Das glaube ich einfach nicht!«, brüllte Big Eagle. Er trug einen cremefarbenen Seidenanzug, italienische Slipper und an seinem Handgelenk baumelte eine goldene Rolex. »Ich habe ihn von der Straße geholt. Er war wie ein Sohn für mich. Ich habe ihm vertraut!«
    Er trat auf den Voodoo-Priester zu, der bislang stumm in der Ecke gestanden hatte, und drohte mit erhobenem Zeigefinger. »Shit! Wozu bezahle ich dich eigentlich? Hä? Kannst du mir das sagen?«
    Der Priester gab keine Antwort. Er war in ein bodenlanges, himmelblaues Gewand gekleidet und um seinen Hals hingen etliche magische Amulette. Sie verschwanden fast gänzlich unter seinen dicken, bis zur Hüfte reichenden Dreadlocks.
    »Verrat kann man nicht prophezeien«, erklärte er in einem gleichgültigen Ton. »Die Geister beschäftigen sich nicht mit Lügen.«
    Big Eagle wollte etwas erwidern, griff dann aber wutschnaubend nach einem der auf dem Tisch aufgereihten Handys und schleuderte es gegen die Wand, wo es mit einem lauten Knall zersprang.
    »Wie viel?«, fragte er mit eisiger Stimme.
    »Keine Ahnung.« Tupac sah verlegen auf die blank polierten Kappen seiner Springerstiefel und knetete seine tätowierten Fingerknöchel.
    »Wie viel, verdammt noch mal!?«, schrie Big Eagle.
    »Die Kleine sagt, sie weiß es nicht.« Tupac fühlte sich sichtlich unwohl.
    »Dann schnapp dir ein paar von den Jungs und bring sie zum Reden!«, zischte Big Eagle. »Ich will wissen, wie viel Geld mir das Schwein gestohlen hat.«
    Er ging in die Hocke und kraulte der Hyäne die borstige Rückenmähne. Sie schlug nervös mit ihrem buschigen Schwanz, hielt aber ansonsten still.
    »Meine Königin«, flüsterte Big Eagle, während er die Hyäne zärtlich zwischen den Augen streichelte. »Holt mir gefälligst mein Geld zurück!«, befahl er schließlich mit lauter Stimme, ohne seinen Blick von der Hyäne abzuwenden.
    »Das ist nicht so einfach«, erwiderte Tupac. »Die Kleine sagt, er habe die Blood Axes für ihren Schutz bezahlt und sichin einer ihrer Absteigen am Bahnhof verkrochen. Wir kommen nicht an ihn heran, ohne einen neuen Krieg zu riskieren.«
    »Dann müssen wir eben vorsichtig sein!«, entschied Big Eagle. »Findet jemanden, der nicht zur Bruderschaft gehört. Egal wie: Ich will seinen Kopf!«
    Die Hyäne fletschte hinter dem Maulkorb die Zähne. Mit ihren Kiefern konnte sie ohne weiteres einen Flusspferdknochen zermalmen.
    Auf dem nur wenige Häuserblocks entfernten Parkplatz begutachtete Yoba mit Stolz seine Arbeit. Obwohl die Sonne hinter einem Dunstschleier verborgen war, konnte er sein Spiegelbild in dem frisch polierten Lack des Mercedes sehen. Nur sein Bruder schien mit ihrem gemeinsamen Werk mal wieder nicht zufrieden zu sein. Er lief in einem fort um den funkelnden Wagen herum und suchte mit ernstem Gesicht nach einem Staubkorn, das ihm vielleicht entgangen war. Das machte er immer. Wahrscheinlich lag das an seinem Problem im Kopf.
    »Wir sind fertig!«, rief Yoba dem alten Parkplatzwächter zu. Anthony hatte es sich im Schatten seines Verschlages auf einem Stuhl bequem gemacht. Dort würde er, abgesehen von einigen gelegentlichen Kontrollgängen über den Parkplatz, den Rest des Tages damit verbringen, dem Straßengewimmel auf der anderen Seite des Maschendrahtzauns zuzusehen.
    Yoba goss das schmutzige Wasser aus und schickte Chioke los, damit er den Eimer an seinen Platz zurückbrachte. Danach ließ er sich erwartungsvoll neben Anthony nieder. Auf der anderen Seite des Zauns strömten die Passanten und Autos wie eine führerlose, nie endende Antilopenherde an ihnen vorüber.
    »Wir sind fertig!«, erklärte Yoba feierlich und hielt die Hand auf.
    Anthony nickte und zückte die Dollarnoten. Zwei der Scheine gab er Chioke, Yoba erhielt drei.
    Ehrfürchtig hielt er die grünen Scheine zwischen seinen abgekauten Fingernägeln. Er hatte noch nie einen richtigen Dollarschein besessen und jetzt besaß er gleich drei
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