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Der Schrei des Eisvogels

Der Schrei des Eisvogels

Titel: Der Schrei des Eisvogels
Autoren: Reginald Hill
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zielen, einen Schuss ab und fühlt eine Woge übermenschlicher Macht, als der Buchhändler sich an den Bauch fasst und ihm das Blut feucht durch die Finger sickert.
    Aus schierem Übermut zielt der Berserker einen Schuss auf das Fenster des leeren Wayside Café und beginnt dann, indem er die Waffe vor dem Körper trägt, am Friedhof vorbei den Hügel hinaufzujoggen.
    Als er das Kriegerdenkmal in einer Nische der Mauer erreicht, wird er langsamer, also gönnt er sich eine Atempause und verpasst dem Bronzesoldaten, der schon seit über siebzig Jahren ehrwürdig ins Weite blickt, einen Denkzettel, damit er nicht vergisst, worum es eigentlich ging.
    Der Fahrer eines offenen Cabriolets in auffälligem Metallicaubergine hält beinahe an, als er sieht, wie der Berserker das Denkmal attackiert. Er heißt Justin Halavant, und er hat einen etwas ausgefallenen Sinn für Komik, der ihn zu der Bemerkung verleitet: »Schau mal einer an, hast du allen Statuen den Krieg erklärt oder nur dem militärischen Genre?«
    Er soll seinen Fehler augenblicklich bereuen. Überrascht fährt der Berserker herum und lässt zwei Schüsse los. Der erste trifft nur die Wagentür, doch der zweite Halavant in die Schläfe, dessen Muskeln krampfen sich zusammen, sein Fuß rammt sich ins Gaspedal, und der Wagen fährt kreischend den Hügel hinunter ins Dorf.
    Der Berserker wartet nicht ab, was aus ihm wird, sondern joggt den Hang hinauf und in den Friedhof.
    Hier bleibt er stehen und lehnt sich gegen einen Grabstein, um seine Munition zu prüfen. Er hätte nicht übel Lust, die Kirche ein bisschen zu demolieren, doch die Munition wird knapp, und ein Instinkt drängt ihn, weiterzurennen und die Mehrzahl der Dorfbewohner beim Fest der Abrechnung zu überraschen, bevor sie von seinen Aktivitäten im Dorf erfahren. Einen Schuss allerdings verschwendet er an das Familienwappen der Guillemards über dem Torbogen, der vom Friedhof zur Green Alley und weiter zum Herrenhaus führt.
    Jetzt steht der Höhepunkt bevor, und das ist gut so, denn die Energie, die noch vor wenigen Minuten unerschöpflich schien, lässt auf einmal rasch nach und die Waffe, die ihm wie ein Zauberstab in der Hand lag, zerrt ihm jetzt an den Muskeln wie ein Stück Eisen. Aus dem Augenwinkel heraus erspäht er eine Gestalt, und instinktiv hält er darauf, bevor er merkt, dass es nur ein Marmorfaun ist, der über eine niedrige Steinbank lunzt. Der Schuss trifft, und er sieht zu, wie der glotzende Kopf herunterpurzelt.
    Jetzt ist er dem Fest so nahe, dass er den Lärm hört. Nicht das übliche nichtssagende Geschwätz und das Schmatzen gieriger Münder. Nein, es sind das rhythmische Dröhnen eines leidenschaftlichen Cellos und die Beschwörung einer alten, doch immer noch durchdringenden Stimme.
    »Wer sah nicht schon im Märzenwinde
die Herden fliehn durch Feld und Flur,
Unter dem Dach von Esch’ und Linde,
Den Winter dicht auf ihrer Spur?
Sein Atem fegt zwar noch geschwinde,
Doch bleiben ihm wenige Tage nur.«
    Es ist der Squire, der seine Ballade dem unfreiwilligen Publikum aufzwingt. Dem Berserker, dem ein gelegentlicher Strahl der Vernunft durch die düsteren Stürme in seinem Kopf blitzt, kommt in den Sinn, dass einige der Zuhörer seine Unterbrechung zunächst einmal als einen Segen betrachten könnten.
    Nicht lange allerdings.
    Er tritt von hinten zwischen die Reihen der sitzenden Dorfbewohner. Er rechnet sich aus, dass er für diese Klientel nur zwei, drei Schuss übrig hat. Da ist die alte Ma Pottinger, die stets und ständig von ihrer ach so phantastischen Schule brabbelt. Sie sieht zu ihm herüber, macht den Mund auf, um eine ihrer sonoren Ermahnungen vom Stapel zu lassen, die ihr Markenzeichen sind, doch unversehens gerät sie ihr zu einem gellenden Schrei, als er ihr eine Ladung in den üppigen Busen bohrt.
    Ein paar Leute drehen sich um. Der Squire singt weiter.
    »So flohn die Gälen vor Guillemard,
Als im Galopp er kam heran,
So schrecklich als der Leopard
Im wilden Kurdistan.
Aus einer Wunde strömt das Blut,
Doch weicht ihm nicht der Kampfesmut.«
    Die Cellistin aber bricht seufzend ab, als der Berserker wie Moses durch das Rote Meer schreitet – welch treffendes Bild, das er links und rechts von sich mit Blut malt –, wie er Daphne Wylmot ziemlich weit oben an ihrem goldenen Kopf erwischt und den alten Mr. Hogbin kurzerhand aus seinem Gehgestell fegt.
    In der ersten Reihe stehen sie auf, wie um ihn zu begrüßen, und er erwidert jedem seinen Gruß, wie er es
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