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Der Schrei des Eisvogels

Der Schrei des Eisvogels

Titel: Der Schrei des Eisvogels
Autoren: Reginald Hill
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heißt Elsie Toke. Sie ist eine kleine, ziemlich schrullig wirkende Frau in den Vierzigern, auch wenn das Alter irgendwie an ihrem Gesicht vorübergegangen zu sein scheint. Doch es ist in diesem Moment von Angst gezeichnet, sie blickt nach links und nach rechts, als ob sie jemanden suchte. Da sieht sie vor sich auf der sonnigen Seite etwas, das sich auf sie zu bewegt. Eine Gestalt ist ins Licht getreten, mit Kampfanzug und einer Kapuzenmütze aus schwarzer Wolle für diesen Ort und dieses Wetter nicht eben passend gekleidet. Die Mütze ist so über den Kopf gezogen, dass nur die Augen zu sehen sind, und in der rechten Armbeuge hält die Gestalt ein schweres Gewehr mit kurzem Lauf.
    Er hat die Frau noch nicht gesehen. In seinem Kopf scheint es wie in der Sonne zu brodeln, mehr Eindrücke und Gedanken wirbeln in ihm durcheinander, als er unbeschadet fassen kann, ein Malstrom an Energie kurz vor der kritischen Masse.
    Irgendwo hat er einmal von diesen alten nordischen Kriegern gelesen, die zu Zeiten großer Krisen Amok liefen. Berserker wurden diese Männer genannt. Sie folgten einem Zwang zur Gewalt, die sie jene ursprüngliche, der Natur innewohnenden Gewalt spüren ließ. Er hatte die Idee verlockend gefunden. Wenn alles andere versagt, wenn die subtilsten Verteidigungsmechanismen sich als vergeblich erweisen, dann wirf alle Vorsicht über den Haufen, geh hinaus, greife an, vernichte, stirb!
    Die Frau ruft: »Jason!«
    Erst jetzt nimmt er sie wahr. Sie läuft auf ihn zu, die Erleichterung wischt ihr die Sorge aus dem Gesicht. Er registriert, wer sie ist, aber das bedeutet nichts. Für einen Berserker ist alles Fleisch wie Gras, das darauf wartet, niedergemäht zu werden. Wenn ihm überhaupt ein Gedanke durch den Kopf geht, dann der, dass er irgendwo anfangen muss. Er nimmt das Gewehr und stützt den Schaft gegen die Hüfte. Jetzt wechselt der Ausdruck auf ihrem Gesicht. Sie öffnet den Mund, um etwas zu sagen, doch bevor sie die Worte über die Lippen bringt, drückt er ab. Sie bekommt den Schuss mitten in die Brust. Sie schreit nicht, sondern sieht ungläubig nach unten, sieht, wie der rote Fleck aufblüht, und riecht das Blut wie sauren Wein.
    Der Berserker ist schon weitergegangen. Jetzt tauchen andere Gestalten auf der langen High Street auf, und in seinem Kopf tanzt es vor Vergnügen, wenn er sich vorstellt, wie er blankes Entsetzen in vertrauten Gesichtern heraufbeschwören wird, sobald sie das Unglaubliche fassen.
    Da kommt Thomas Wapshare mit neugierigen, strahlenden Augen und rosig glühenden Wangen, schon verzieht er den Mund zu seinem jovialen Gastwirtslächeln, das seltsamerweise nicht einmal verschwindet, als seine Augen begreifen, was passiert, ja nicht einmal, als sich die Mündung hebt und ihm die Ladung aus kurzer Entfernung in den ach so sorgenfreien Fettwanst jagt.
    Und da drüben auf der anderen Straßenseite ist Dudley Wylmot und schließt die Tür zum Postamt auf, der dünne, schlaksige Wylmot mit dem fliehenden Kinn und dem stacheligen Bart unter der ziemlich großen Nase, was ihm das Aussehen eines wichtigtuerischen Hasen verleiht. In diesem Moment, als er sich, den Schlüssel in der Tür, umdreht und den Gewehrlauf bemerkt, der direkt auf ihn zeigt, hat er ganz gewiss etwas von einem Hasen an sich. Der Berserker wartet gerade so lang, bis Wylmot gänzlich begreift, was mit ihm geschieht, und feuert ab. Der Schuss trifft ihn am Hals, und er gerät ins Trudeln, kracht gegen die blutbespritzte Tür.
    Jetzt werden die Bewegungen des Berserkers schneller. Da vorne hat er Caddy Scudamore gesehen, die gerade die Tür zur Eendale-Galerie öffnet. Die schöne, unerhört begehrenswerte Caddy, die durch dich hindurchsieht, als wärst du Luft, außer es ist ihr gerade danach, dich zu malen. Solange es alle trifft, ist ihre Gleichgültigkeit zu ertragen. Doch wer gibt ihr das Recht, einen aus der Masse zu erwählen? Die Tür ist offen. Sie geht hinein. Er feuert ihr genau zwischen die Schulterblätter und lächelt unter seiner Kapuzenmütze, als er sieht, wie der frische rote Blutfleck alle anderen Farben auf ihrem verklecksten Kittel verdrängt.
    »Hey!«
    Die Stimme kommt von hinten. Er dreht sich um. Im Eingang des Tell-Tale-Buchladens steht die ehrwürdige, grauhaarige, überaus vornehme Gestalt von Edwin Digweed. Er muss den Angriff auf Caddy durch sein Fenster beobachtet haben. Wer ein bisschen gescheiter gewesen wäre, hätte einen Satz hinter seine Bücherregale gemacht! Er lässt, ohne richtig zu
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