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Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Titel: Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
Autoren: Navid Kermani
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überall nur Unendlichkeiten, die mich wie ein Atom und wie einen Schatten einschließen, der nur einen unwiederbringlichen Augenblick lang dauert. Alles, was ich erkenne, ist, daß ich bald sterben muß; doch was ich am wenigsten begreife, ist gerade dieser Tod, dem ich nicht entgehen kann.[ 3 ]
    Bei Pascal – das liegt auch an der fragmentarischen Struktur seiner «Gedanken» – scheint die metaphysische Trostlosigkeit immer wieder durch, um oft schon im nächsten Absatz von christlicher Hoffnung bedeckt zu werden. Als einer der ersten habe Pascal, so erkannte Nietzsche, «die Witterung einer Unmoralität in dem ‹deus absconditus›» gehabt und nur deshalb so zuversichtlich vom Glauben gesprochen, weil er sich diese Ahnung nicht habe eingestehen wollen, «und so redete er, wie einer, der sich fürchtet, so laut als er konnte».[ 4 ] Attar hingegen scheint bei aller Frömmigkeit die Konsequenz, mit der er alles Seiende schwarzsieht, auf den ersten Blick immer wieder in die Nähe des metaphysisch bewegten Atheisten Arthur Schopenhauer zu rücken, der die Welt ähnlich verworfen denkt, wenn er sie zum «Tummelplatz gequälter und geängstigter Wesen» erklärt, «welche nur dadurch bestehn, daß eines das andere verzehrt, wo daher jedes reißende Thier das lebendige Grab tausend anderer und seine Selbsterhaltung eine Kette von Martertoden ist, wo sodann mit der Erkenntniß die Fähigkeit Schmerz zu empfinden wächst, welche daher im Menschen ihren höchsten Grad erreicht und einen um so höheren, je intelligenter er ist».[ 5 ] Mit Schopenhauer verbindet Attar das Umfassende und immer wieder neu Entrüstete seiner Tirade, das Schrille, Rückhaltlose, geradezu Verbissene und auch Witzige daran. Ja, witzig, nicht anders als Schopenhauer bereitet Attar es erkennbar Spaß, dem Leben ins Gesicht zu spucken, dem Feind: Einmal in Fahrt gekommen, kann er gar nicht mehr aufhören – hier den Speichel und dort einen Hieb, und noch einen und noch einen, und den Tritt nimm auch! Am Ende ist jeder Gedanke an Rettung ausgetrieben. Und dabei hat die Erzählung noch gar nicht richtig begonnen.
    Sie beginnt, als ein Pir zu dem Wanderer kommt, ein sufischer Meister, «ein reisend Ruhender», wie ihn Attar bezeichnet, der die Welt wie eine Sonne erleuchtet und doch selbst bestürzt ist ob seiner Verwirrung. Wie in der religiösen Praxis des Sufismus üblich, betont auch der Pir im «Buch der Leiden», daß niemand sich auf die Reise nach innen begeben soll ohne die Wegweisungen eines Führers. Der Wanderer erfährt, daß es sein Leiden war, das seinen Pir herbei-, fast möchte man sagen: hervorgerufen hat.
Was brauchst du Medizin, wenn du keinen Schmerz hast?
            Was nützt der Befehl, wenn du kein Sklave bist?
Solang du nicht brennst vor Schmerz,
            Kann dich das Feuer nicht erleuchten.
Das Leiden sei dein Elixier, besorg es dir,
          Die Seele gib hin, um auf Seele zu hoffen. (0, 63)
    Schließlich bricht der «Wanderer des Denkens» auf, um Erlösung zu finden, Hoffnung oder wenigstens Trost.
Der Wanderer, Liebe sein Wesen, zäh das Bemühen,
          Entflammte vor Sehnsucht.
Aus der Sehnsucht häutete er sich, aus der Raserei,
          Nackt stürzte er sich ins Meer,
Entsagte dem Lobpreis und der Klage,
          Schlug den Weg ein, der kein Ende hat. (0, 64)
    Hunderttausend Wege sieht der Wanderer in alle Himmelsrichtungen weisen, hunderttausend Ozeane aus Blut, streunende Welten, ein berstender Kosmos in seiner Brust. An Paradiesen und Höllen kommt er hunderttausendfach vorbei. Sooft er auch klopft, keine Tür öffnet sich. Er verliert sich und sinkt nieder, sein Körper stirbt ab. Er will fliegen und kann nicht, er streunt umher, schreit, rennt, erschöpft sich. Er bleibt stehen und will nicht bleiben, und wenn er weitergeht, möchte er mit jeder Pore zurückweichen. Schließlich verliert er den Verstand und mit dem Verstand alles Wissen. Er spricht mit dem Schmerz, er liebkost ihn, er gibt sich ihm hin. Der Schmerz wird ihm zum Glauben wie zum Unglauben. Er sammelt die restlichen Kräfte, rafft sich ein letztes Mal auf, aber voranzukommen, das gelingt ihm noch immer nicht. Wieder sieht er die Welt in Blut und Verwirrung, als einen Ort der Wehklage, nicht des Bemühens. Da wird er still, gibt seinen Willen auf und sieht die eigenen Fesseln endlich abgestreift. Er steht auf und gelangt – «zu Tode erschöpft wie eine
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