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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider
Autoren: Carre
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senkte rasch die Stimme – »Und darf ich Sie daran erinnern, Rafi, wie der selige Mr. Braithwaite den perfekten Gentleman definiert hat?« – er zupfte respektvoll am Ärmel von Rafis Blazer – »Die Hemdmanschetten dürfen nie mehr als einen Fingerbreit zu sehen sein.«
    Danach wird Rafis neue Smokingjacke anprobiert, was freilich nur geschieht, um sie den anderen Freitagskunden vorzuführen, die allmählich mit ihren Handys und qualmenden Zigaretten und ihren Zoten und Prahlereien über Geschäfte und sexuelle Eroberungen im Laden zusammenkommen. Als nächster erscheint Aristides der braguetazo , was bedeutet, daß er nach dem Geld geheiratet hat; seine Freunde halten ihn aus diesem Grund für einen Märtyrer des Mannestums. Dann kommt Ricardo, der sich Ricki nennen läßt und während einer kurzen aber einträglichen Amtszeit in den höheren Rängen des Ministeriums für Öffentliche Bauten sich selbst das Recht verliehen hatte, von nun an bis in alle Ewigkeit sämtliche Straßen Panamas zu bauen. Mit ihm ist Teddy gekommen, auch der Bär genannt, der meistgehaßte und zweifellos auch der häßlichste Zeitungskolumnist von Panama; wo er auftaucht, breitet sich eisige Kälte aus, aber Pendel bleibt davon unberührt.
    »Teddy, ruhmreicher Schreiber, Hüter von Reputationen. Gewähren Sie dem Leben eine Pause, Sir, und unsrer müden Seele Ruh.«
    Ihnen auf den Fersen folgt Philip, vormals Gesundheitsminister unter Noriega – oder Erziehungsminister? »Marta, ein Glas für Seine Exzellenz! Und einen Tagesanzug, bitte, ebenfalls für Seine Exzellenz – eine letzte Anprobe, dann dürften wir fertig sein.« Er senkt die Stimme. »Und meinen Glückwunsch, Philip. Wie ich höre, ist sie ja ein höchst mutwilliges Wesen, dazu wunderschön und sehr in Sie verliebt«, murmelt er in taktvoller Anspielung auf Philips neueste chiquilla .
    Diese und andere wackere Männer kommen und gehen aufgeräumt am letzten frohen Freitag der Menschheitsgeschichte in Pendels Bekleidungshaus. Und Pendel, der leichtfüßig von einem zum andern schreitet, lacht, verkauft und die Weisheiten des guten alten Arthur Braithwaite zitiert, behandelt diese Leute voller Ehrerbietung und läßt sich von ihrer guten Laune anstecken.

3
    Es war, wie Pendel später meinte, vollkommen angemessen, daß Osnards Eintreffen bei P & B von einem Donnerschlag mit, wie Onkel Benny gesagt haben würde, allem Drum und Dran begleitet wurde. Bis dahin war es ein funkelnder panamaischer Nachmittag in der Regenzeit gewesen, mit einem freundlichen Spritzer Sonnenschein und zwei hübschen Mädchen vor dem Schaufenster von Sallys Geschenkboutique auf der anderen Straßenseite. Und die Bougainvillea im Garten nebenan war so wunderschön, daß man hätte hineinbeißen können. Dann kommt, um drei Minuten vor fünf – Pendel hatte aus irgendeinem Grund nie bezweifelt, daß Osnard pünktlich sein würde –, ein brauner Ford Kombi mit einem Avis-Aufkleber auf der Hecktür vorgefahren und hält auf dem für Kunden reservierten Parkplatz. Und dieses unbekümmerte Gesicht mit dem schwarzen Haarschopf, das wie ein Halloween-Kürbis hinter der Windschutzscheibe hing. Wieso Pendel plötzlich an Halloween denken mußte, konnte er sich selbst nicht erklären, aber so war’s. Es muß an den runden schwarzen Augen gelegen haben, sagte er sich später.
    In diesem Augenblick gehen in Panama die Lichter aus.
    Und das kommt lediglich von dieser einen scharf umgrenzten Regenwolke, die sich, kaum größer als Hannahs Hand, vor die Sonne schiebt. In der nächsten Sekunde klatschen faustgroße Regentropfen auf die Eingangsstufen, Blitz und Donner lösen sämtliche Autoalarmanlagen in der Straße aus, die Kanaldeckel platzen aus den Fassungen und rutschen wie Diskusscheiben in dem reißenden braunen Strom die Straße hinunter, Palmwedel und Mülltonnen vervollkommnen das unschöne Spektakel, und die schwarzen Burschen in Umhängen, die bei jedem Wolkenbruch aus dem Nichts auftauchen, kommen an die Autofenster und verhökern riesige Regenschirme oder bieten an, für einen Dollar den Wagen auf höheres Gelände zu schieben, damit der Verteiler nicht naß wird.
    Und einer dieser Kerle setzt auch schon dem Kürbiskopf zu, der fünfzehn Meter vorm Eingang in seinem Auto sitzt und wartet, daß der Weltuntergang vorüberzieht. Aber der Weltuntergang läßt sich Zeit, denn es geht kaum ein Lüftchen. Der Kürbiskopf versucht den Schwarzen zu ignorieren. Aber der läßt nicht locker. Schließlich
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