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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider
Autoren: Carre
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Buchhalterin und Sandwichmacherin, eine verdrießliche, loyale kleine Mulattin, deren schiefes, narbiges Gesicht von Hauttransplantationen und stümperhaften Operationen entstellt war.
    »Guten Morgen«, sagte sie mit ihrer schönen Stimme auf Spanisch.
    Nicht »Harry«, nicht »Señor Pendel« – das sagte sie nie. Schlicht Guten Morgen mit der Stimme eines Engels, denn Stimme und Augen waren die einzigen Teile ihres Gesichts, die unversehrt überlebt hatten.
    »Auch dir einen Guten Morgen, Marta.«
    »Ich habe einen neuen Kunden in der Leitung.«
    »Von welcher Seite der Brücke?«
    Ein häufig gehörter Scherz in diesem Land.
    »Von deiner Seite. Ein gewisser Osnard.«
    »Wie bitte?«
    »Señor Osnard. Ein Engländer. Er macht Witze.«
    »Was denn für Witze?«
    »Das müßtest du mir schon erklären.«
    Pendel legte die Schere beiseite, drehte Mahler fast unhörbar leise und griff nach einem Terminkalender und dann nach einem Bleistift. An seinem Schneidetisch, das war bekannt, legte er auf Ordnung größten Wert: hier das Tuch, da die Muster, Rechnungen und Auftragsbuch dort drüben, alles picobello. Wie immer beim Zuschneiden trug er eine selbstentworfene und selbstgeschneiderte schwarze Weste mit seidenem Rückenteil und verdeckter Knopfleiste. Ein solches Kleidungsstück drückte Dienstfertigkeit aus, und das gefiel ihm.
    »Könnten Sie mir das bitte buchstabieren, Sir?« bat er freundlich, als Osnard ihm noch einmal seinen Namen nannte.
    Wenn Pendel telefonierte, lag ein Lächeln in seiner Stimme. Vollkommen Fremde hatten unmittelbar das Gefühl, mit jemandem zu sprechen, der ihnen sympathisch war. Doch Osnard verfügte offenbar über das gleiche ansteckende Talent, denn zwischen den beiden entstand sofort eine behagliche Atmosphäre, aus der sich ein längeres, unbefangenes und sehr britisches Gespräch entspann.
    »Beginnt mit O-S-N und endet mit A-R-D«, sagte Osnard, und Pendel muß das als besonders geistreich empfunden haben, denn er notierte den Namen genau so, wie Osnard ihn diktierte: zwei Dreiergruppen in Großbuchstaben mit einem »&« dazwischen.
    »Und Sie, sind Sie Pendel oder Braithwaite?« fragte Osnard.
    Worauf Pendel, wie oft auf diese Frage, mit einer beiden Identitäten angemessenen Großzügigkeit antwortete: »Nun, Sir, ich bin gewissermaßen beide in einer Person. Mein Partner Braithwaite ist bedauerlicherweise schon vor vielen Jahren verstorben. Ich kann Ihnen jedoch versichern, daß sein Vorbild noch sehr lebendig ist und zur Freude aller, die ihn gekannt haben, bis zum heutigen Tag die Politik unseres Hauses bestimmt.«
    Wenn Pendel die Register seiner Zunft zog, sprach aus seinen Sätzen der Elan eines Mannes, der nach langem Exil in die Heimat zurückkehrt. Und diese Sätze waren, besonders zum Ende hin, komplexer als man meinen sollte, ähnlich wie gewisse Stellen in einem Konzert, bei denen der Hörer schon den Schlußakkord erwartet, dann aber getäuscht wird.
    »Ach, wie bedauerlich«, sagte Osnard etwas leiser und nach respektvoller Pause. »Woran ist er denn gestorben?«
    Und Pendel dachte bei sich: Komisch, wie oft ich das gefragt werde, aber wenn man bedenkt, daß das früher oder später auf uns alle zukommt, ist es wohl ganz natürlich.
    »Nun, man sagt , an einem Schlaganfall, Mr. Osnard«, antwortete er in jenem verwegenen Ton, den gesunde Männer anschlagen, wenn sie von solchen Dingen reden. »Aber, um ehrlich zu sein, für mich ist er eher an gebrochenem Herzen gestorben, nachdem wir angesichts exorbitanter Steuerbelastung unser Geschäft in der Savile Row schließen mußten. Darf ich fragen, ohne aufdringlich sein zu wollen, ob Sie in Panama wohnhaft sind, Mr. Osnard, oder lediglich auf der Durchreise?«
    »Bin vor ein paar Tagen in die Stadt gekommen. Nehme an, daß ich eine ganze Weile bleiben werde.«
    »Dann willkommen in Panama, Sir, und könnten Sie mir wohl eine Nummer geben, unter der ich Sie erreichen kann, falls wir, was hierzulande leider zur Normalität gehört, unterbrochen werden?«
    Beiden Männern war ihre Herkunft an der Sprache anzumerken; schließlich waren sie Engländer. Für jemanden wie Osnard war Pendels Herkunft ebenso unverkennbar wie sein Bestreben, ihr zu entrinnen. Seine Stimme hatte trotz aller Fortschritte nie die Färbung der Leman Street im Londoner East End verloren. Wenn er die Vokale richtig traf, ließen ihn Tonfall und Hiatus im Stich. Und selbst wenn das alles perfekt zusammenkam, konnte ihm immer noch die Wortwahl ein
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