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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider
Autoren: Carre
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groß und modern und hatte getönte, auf die Bucht hinausgehende Fenster vom Boden bis zur Decke und einen Schreibtisch so groß wie ein Tennisplatz, an dessen hinteres Ende Ramón Rudd sich klammerte wie eine winzige Ratte an ein riesiges Floß. Er war klein und dick, hatte eine dunkelblaue Kinnpartie, glänzend schwarzes Haar, schwarzblaue Koteletten und gierig funkelnde Augen. Zur Übung bestand er darauf, Englisch zu sprechen, hauptsächlich durch die Nase. Er hatte für die Erforschung seiner Ahnentafel beträchtliche Summen bezahlt und behauptete, von schottischen Abenteurern abzustammen, die nach der Katastrophe von Darién zurückgelassen worden waren. Vor sechs Wochen hatte er einen Kilt im Schottenmuster der Rudds bestellt, um an den schottischen Tanzveranstaltungen im Club Unión teilnehmen zu können. Ramón Rudd schuldete Pendel zehntausend Dollar für fünf Anzüge. Pendel schuldete Rudd einhundertfünfzigtausend Dollar. Als Zeichen des Entgegenkommens zählte Ramón die rückständigen Zinsen zum Kapital hinzu, weshalb das Kapital denn auch weiterwuchs.
    »Pfefferminz?« fragte Rudd und schob ihm einen Messingteller mit eingewickelten grünen Bonbons hin.
    »Danke, Ramón«, sagte Pendel, nahm aber keins. Ramón bediente sich.
    »Warum geben Sie so viel Geld für einen Anwalt aus?« fragte Rudd nach zweiminütigem Schweigen, in dem er an seinem Pfefferminz gelutscht und sie beide, jeder für sich, über den aktuellen Kontoauszügen der Reisfarm gestöhnt hatten.
    »Er hat gesagt, daß er den Richter bestechen will, Ramón«, erklärte Pendel demütig wie ein Schuldiger, der seine Zeugenaussage macht. »Er hat gesagt, er sei mit ihm befreundet. Er wolle mich da lieber raushalten.«
    »Aber warum hat der Richter die Anhörung vertagt, wenn Ihr Anwalt ihn bestochen hat?« fragte Rudd. »Warum hat er Ihnen nicht wie versprochen das Wasser zuerkannt?«
    »Weil es inzwischen ein anderer Richter war, Ramón. Nach der Wahl wurde ein neuer Richter eingesetzt, und das Bestechungsgeld war nicht vom alten auf den neuen übertragbar. Der neue Richter wartet jetzt erst einmal ab, welche Partei ihm das höhere Angebot macht. Der Sekretär meint, der neue Richter sei ehrlicher als der alte; das heißt natürlich, daß er auch teurer ist. Bedenken sind in Panama eine kostspielige Sache, sagt er. Und es wird immer schlimmer.«
    Ramón Rudd nahm die Brille ab, hauchte auf die Gläser und säuberte sie mit einem Polierleder aus der Brusttasche seines Pendel-&-Braithwaite-Anzugs. Dann schob er die goldenen Bügel wieder hinter die glänzenden kleinen Ohren.
    »Warum bestechen Sie nicht jemand beim Ministerium für Landwirtschaftliche Entwicklung?« empfahl er mit überlegener Nachsicht.
    »Das haben wir versucht, Ramón, aber die Leute dort sind richtige Moralapostel. Sie sagen, sie seien bereits von der anderen Partei bestochen, und sie fänden es unmoralisch, die Seiten zu wechseln.«
    »Könnte Ihr Farmverwalter nicht was arrangieren? Sie zahlen ihm ein hohes Gehalt. Warum wird er nicht selbst aktiv?«
    »Na ja, Angel tickt ehrlich gesagt nicht ganz richtig, Ramón«, gestand Pendel und erweiterte damit unbewußt Rudds Wortschatz um eine Redewendung. »Um es nicht noch deutlicher zu sagen, ich halte es für nützlicher, wenn er nicht dort auftaucht. Nehme an, ich werde mich selbst aufraffen und da mal vorsprechen müssen.«
    Ramón Rudds Jackett kniff noch immer in den Achseln. Die beiden standen einander vor dem großen Fenster gegenüber, Rudd kreuzte die Arme vor der Brust, ließ sie dann sinken und verschränkte die Hände auf dem Rücken, während Pendel mit den Fingerspitzen konzentriert an den Nähten zupfte und wie ein Arzt zu ermitteln suchte, wo der Schmerz herkam.
    »Nur eine Kleinigkeit, Ramón, falls überhaupt etwas«, befand er schließlich. »Ich will die Ärmel nicht unnötig auftrennen, weil das dem Jackett nicht guttut. Aber wenn Sie das nächstemal vorbeikommen, kann ich’s richten.«
    Sie setzten sich wieder.
    »Produziert die Farm überhaupt noch Reis?« fragte Rudd.
    »Wenig, Ramón, möchte ich einmal sagen. Wir konkurrieren, wie man so sagt, mit dem Weltmarkt, also mit billigem Reis aus anderen Ländern, in denen die Regierung den Anbau subventioniert. Ich war voreilig. Sie auch.«
    »Sie und Louisa?«
    »Na ja, eigentlich Sie und ich, Ramón.«
    Ramón Rudd furchte die Stirn und sah auf seine Uhr, was er nur bei Klienten tat, die kein Geld hatten.
    »Schade, daß Sie die Farm nicht als eigene
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