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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider
Autoren: Carre
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der Krach der City nimmt zu. Ein Regenbogen aus Wäsche erscheint im Dunkel der baufälligen Wohnhäuser in den engen Straßen, durch die er sich kämpfen muß. Auf den Bürgersteigen sind Afrikaner, Inder, Chinesen und alle denkbaren Mischungen zu sehen. In Panama gibt es ebenso viele Menschen wie Vogelarten, eine Tatsache, die das Herz des Mischlings Pendel täglich von neuem erfreut. Manche stammten von Sklaven ab, andere sehr wahrscheinlich auch, denn ihre Vorfahren waren zu Zehntausenden hierher verfrachtet worden, um für den Kanal zu arbeiten und manchmal auch zu sterben.
    Die Straße wird breiter. Am dämmrigen Pazifik herrscht Ebbe, und die dunkelgrauen Inseln jenseits der Bucht hängen wie ferne chinesische Berge im dämmrigen Nebel. Pendel spürt den heftigen Wunsch, dorthin zu gehen. Vielleicht liegt das an Louisa, denn manchmal macht ihre furchtbare Unsicherheit ihn fix und fertig. Vielleicht kommt es auch daher, daß nun direkt vor ihm bereits die knallrote Spitze des Wolkenkratzers der Bank auftaucht, der sich mit seinen ähnlich scheußlichen Nachbarn um die Wette in den Himmel reckt. Ein Dutzend Schiffe treibt in gespenstischer Linie über dem unsichtbaren Horizont, wartet mit laufenden Maschinen die Totzeit ab, um in den Kanal einlaufen zu können. Pendel kann die Langeweile an Bord nur zu gut nachvollziehen. Er vergeht vor Hitze auf dem reglosen Deck, er liegt in einer miefigen Kajüte voller fremder Körper und Ölgestank. Ich werde keine Zeit mehr totschlagen, nimmt er sich schaudernd vor. Nie mehr. Für den Rest seines Erdendaseins will Harry Pendel jede Stunde jeden Tages genießen, das ist amtlich. Frag Onkel Benny, tot oder lebendig.
    Als er in die prachtvolle Avenida Balboa kommt, glaubt er plötzlich zu fliegen. Rechts schwebt die Botschaft der Vereinigten Staaten vorbei, größer als der Präsidentenpalast, größer sogar als seine Bank. Aber nicht, zu diesem Zeitpunkt, größer als Louisa. Ich bin einfach zu großkotzig, erklärt er ihr, als er auf den Vorplatz der Bank hinabgleitet. Wenn ich nicht so großkotzige Vorstellungen hätte, würde ich jetzt nicht in diesem Schlamassel stecken, hätte ich mich nie als Krösus gefühlt und würde jetzt niemandem einen Haufen Geld schulden, den ich nicht habe, und ich würde auch nicht mehr gegen Ernie Delgado oder sonstwen sticheln, den du gerade für einen moralischen Saubermann hältst. Schweren Herzens stellt er seinen Mozart aus, greift nach hinten und nimmt sein Jackett vom Bügel – heute hat er sich für das dunkelblaue entschieden –, zieht es an und richtet im Rückspiegel seine Denman-&-Goddard-Krawatte. Ein strenger uniformierter Bursche bewacht das riesige Glasportal. Er hält eine Halbautomatik im Arm und salutiert vor jedem, der einen Anzug trägt.
    »Don Eduardo, Monseñor, wie geht es uns heute, Sir?« ruft Pendel ihm auf Englisch zu und reißt den Arm hoch. Der Bursche strahlt vor Vergnügen.
    »Guten Morgen, Mr. Pendel«, antwortet er. Mehr Englisch kann er nicht.
     
    Für einen Schneider ist Harry Pendel überraschend athletisch. Vielleicht ist er sich dessen bewußt, denn er geht wie mit unterdrückter Kraft. Er ist groß und stabil gebaut, sein angegrautes Haar ist kurzgeschnitten. Er hat einen breiten Brustkorb und die runden Schultern eines Boxers. Sein Gang jedoch ist staatsmännisch und diszipliniert. Die Hände, die zunächst locker an den Seiten schwingen, legt er nun sittsam auf dem kräftigen Rücken zusammen. In solch einer Haltung schreitet man eine Ehrengarde ab oder geht man mit Würde seiner Hinrichtung entgegen. In der Vorstellung hat Pendel schon beides getan. Ein einziger Schlitz hinten im Jackett, mehr darf nicht sein. Er nennt es das Braithwaitesche Gesetz.
    Am deutlichsten freilich zeigten sich Lebensfreude und Behagen auf seinem Gesicht, einem Gesicht, dessen er mit vierzig würdig war. Unbekümmerte Unschuld leuchtete aus seinen babyblauen Augen. Auf seinen Lippen lag, auch wenn sie entspannt waren, ein freundliches, offenes Lächeln. Wer es unvermutet sah, fühlte sich gleich ein bißchen besser.
     
    Hohe Tiere in Panama haben hinreißende schwarze Sekretärinnen in züchtigen blauen Busschaffner-Uniformen. Sie haben getäfelte, mit Stahl verstärkte kugelsichere Türen aus Teakholz mit Messingklinken, die man nicht bewegen kann, weil die Türen sich nur von innen mit Summern öffnen lassen, damit die hohen Tiere nicht entführt werden können. Ramón Rudds Zimmer im sechzehnten Stock war enorm
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