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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider
Autoren: Carre
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Pipapo.«
    » Mit allem Pipapo «, wiederholte Pendel ehrfürchtig, während zahllose Erinnerungen an Onkel Benny auf ihn einstürzten. »Es ist gewiß zwanzig Jahre her, seit ich diesen Ausdruck das letztemal gehört habe, Mr. Osnard. Du liebe Zeit. Mit allem Pipapo. Nicht zu glauben.«
    Hier hätte wahrscheinlich jeder andere Schneider seine Begeisterung in Zaum gehalten und sich wieder seiner Marineuniform zugewandt. Und Pendel an jedem anderen Tag wohl auch. Ein Termin war vereinbart, der Preis abgemacht, ein erster Kontakt geknüpft. Aber Pendel war jetzt gut gelaunt. Nach dem Besuch bei der Bank hatte er sich einsam gefühlt. Er hatte nur wenige englische Kunden und noch weniger englische Freunde. Louisa, vom Geist ihres verstorbenen Vaters geleitet, wußte das zu verhindern.
    »Und P & B ist tatsächlich immer noch der einzige Laden in der Stadt?« fragte Osnard. »Schneider der Kapitalisten und Krösusse und so weiter?«
    Über die Krösusse mußte Pendel lächeln. »Ein netter Gedanke, Sir. Gewiß sind wir stolz auf das Erreichte, doch überheblich sind wir nicht. Die letzten zehn Jahre waren für uns kein Zuckerschlecken, das kann ich Ihnen versichern. Offen gesagt, es gibt in Panama nur wenig Sinn für guten Geschmack. Das heißt, es gab wenig davon, bis wir dann gekommen sind. Wir mußten die Leute erziehen, bevor wir ihnen etwas verkaufen konnten. Soviel Geld für einen Anzug? Die haben uns für verrückt gehalten, oder noch Schlimmeres. Aber dann ist das Geschäft nach und nach in Gang gekommen, bis es kein Halten mehr gab, wie ich erfreut vermelden kann. Die Leute begriffen allmählich, daß wir ihnen nicht bloß einen Anzug hinwerfen und Geld dafür haben wollen, sondern daß wir auch Service zu bieten haben, daß wir Änderungen vornehmen, daß wir immer für sie da sind, daß wir Freunde und Helfer sind, Menschen. Sie sind nicht rein zufällig von der Presse, Sir? Kürzlich ist ein recht schmeichelhafter Artikel über uns in der hiesigen Ausgabe des Miami Herald erschienen, der Ihnen vielleicht ins Auge gefallen ist.«
    »Muß ich übersehen haben.«
    »Nun, ich will einmal so sagen, Mr. Osnard. Mit allem gebührenden Ernst, wenn Sie nichts dagegen haben. Wir kleiden Präsidenten und Anwälte ein, Bankleute und Bischöfe, Mitglieder der gesetzgebenden Versammlung, Generäle und Admirale. Wir kleiden jeden ein, der einen Maßanzug zu schätzen weiß und bezahlen kann, ohne Rücksicht auf Hautfarbe, Religion und Ansehen. Wie finden Sie das?«
    »Klingt vielversprechend. Sehr vielversprechend. Also dann, um fünf Uhr. Blaue Stunde. Osnard.«
    »Fünf Uhr, in Ordnung, Mr. Osnard. Ich freue mich auf Ihren Besuch.«
    »Ich mich auch.«
    »Mal wieder ein guter neuer Kunde, Marta«, sagte Pendel, als sie mit einigen Rechnungen eintrat.
    Aber wie immer fiel es ihm schwer, ganz ungezwungen mit Marta zu reden. Und auch ihre Art, ihm zuzuhören, war alles andere als normal: den mißhandelten Kopf von ihm abgewandt, die klugen dunklen Augen auf etwas anderes gerichtet, das Entsetzliche hinter dem Schleier ihres schwarzen Haars verborgen.
     
    Und das war’s. Eitler Narr, wie er sich hinterher schimpfte, fühlte sich Pendel belustigt und geschmeichelt zugleich. Dieser Osnard war offensichtlich ein Witzbold, und Witzbolde hatte Pendel ebenso gern wie Onkel Benny, und was auch immer Louisa und ihr verstorbener Vater dazu sagen mochten, die Briten brachten nun einmal die besten Witzbolde hervor. Nach all den Jahren, seit er der alten Heimat den Rücken gekehrt hatte, war Panama am Ende vielleicht doch gar nicht so übel. Daß Osnard sich über seine berufliche Tätigkeit ausgeschwiegen hatte, machte ihm nichts aus. Viele seiner Kunden waren ähnlich verschwiegen, andere, denen es angestanden hätte, waren es nicht. Pendel war belustigt, er war kein Hellseher. Und nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, befaßte er sich wieder mit der Admiralsuniform, bis der mittägliche Ansturm des frohen Freitags begann, wie er den Freitagmittag nannte, bis Osnard kam und ihm den Rest seiner Unschuld raubte.
     
    Und wer hätte heute die Prozession anführen sollen, wenn nicht der unvergleichliche Rafi Domingo höchstpersönlich, bekannt als Panamas Playboy Nummer eins und einer von denen, die Louisa ganz und gar nicht ausstehen konnte.
    »Señor Domingo, Sir!« – Pendel breitete die Arme aus – »Welch Glanz in meiner Hütte! Und in dem Anzug sehen Sie ja geradezu verboten jugendlich aus, wenn ich so sagen darf!« – er
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