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Der Schneekönig

Der Schneekönig

Titel: Der Schneekönig
Autoren: Astrid Martini
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„Du kommst gerade zur rechten Zeit, denn wenn der Morgen graut, werde ich dir erst wieder helfen können, wenn ein weiterer Monat ins Land gezogen ist.“
    Langsam umkreiste sie den Feuerkessel, ließ Amelie nicht aus den Augen. Dabei bewegte sie ihre rechte Hand entgegen des Uhrzeigersinns über dem Kessel, indem eine rote Flüssigkeit blubberte. Ein roter Sternenregen stieg auf. Während Amelie noch staunte, tauchte die Zauberin eine Schöpfkelle in die dampfende Flüssigkeit, zog sie wieder heraus und reichte ihr das Gebräu.
    Amelie war schwindelig vor Angst und Aufregung.
    „Trink! Lass dir allerdings gesagt sein, dass es nur dann ein gutes Ende für euch geben kann, wenn du es schaffst, die Aufgabe, die dir die Schneekönigin bei deiner Ankunft stellen wird, innerhalb von sieben Tagen zu lösen. Sollte es dir innerhalb dieser Frist nicht gelingen, seid ihr für immer verloren und – sobald die Strahlen des silbernen Doppelmondes das Wasser des Eissees liebkosen – zu Statuen im ewigen Eis werden, die keine Macht der Welt jemals wieder erlösen kann. Na? Willst du es dir nicht lieber noch einmal überlegen?“
    Amelie begann am ganzen Leib zu zittern. Dennoch schüttelte sie entschlossen den Kopf und trank einen Schluck der Flüssigkeit. Leichter Schwindel erfasste sie. Sie fand sich in einem Tunnel wieder, der sie weit und weiter nach Irgendwo führte. Und plötzlich verwandelte sich das allumfassende Dunkel in flackerndes Licht. Sie erblickte einen schwimmenden Eisberg inmitten eines riesigen Sees und sah blaue Blitze im Zickzack in das schimmernde Wasser einschlagen.
    Der ruhig schimmernde See begann sich zu kräuseln, schäumte schließlich auf, und aus den Schaumkronen erwuchs eine Insel, in deren Mitte ein prachtvoller Eispalast thronte. Gewaltig, groß und majestätisch. Die eisblau schimmernden Schneemauern waren mit vielen Simsen und Fensterbögen versehen. Obwohl aus Schnee und Eis wirkten sie stark und sicher. Blass-lilafarbene Ranken wuchsen an den Mauern entlang und ein unwirklich fahles, einem mystischen Nebel ähnliches Licht leuchtete hinter den Fenstern hervor.
    Haargenau dasselbe Bild, das Amelie an dem Morgen in den Himmel gezeichnet sah, an dem ihr Bruder mit der Schneekönigin verschwand.
    Eine Treppe führte sie zum Wasser und geradewegs zur Kristallbrücke, die sie zur Insel führte. Während die eisige See die großen Eisblöcke hoch emporhob und sie in strahlendem Blau erglänzen ließ, zog ein Silberschweif den Horizont entlang und hoch über ihr leuchtete ein Stern. Die Luft war eisig. Amelie war froh, an einen dicken Mantel gedacht zu haben, als sie ihr Bündel gepackt hatte. Schneeflocken flogen gegen ihr Gesicht, blieben an ihren Wimpern hängen und begannen sofort zu gefrieren.
    Sie stapfte voran und wusste, dass ihr Bruder am Ende der Schneeflocken warten würde. Und die Aufgabe der Schneekönigin, die sie lösen musste, ob sie wollte oder nicht.
    Es roch nach Schnee, nach Winter, nach Einsamkeit – aber auch nach Hoffnung, und war sie auch noch so klein.
    Als sie endlich den ersten Fuß auf die Insel setzte, glänzte der Himmel ganz hell und war durchzogen von Nordlichtern. Die Schneeflocken fielen weich und lautlos hinab und wurden größer, je näher sie dem Schloss kam.
    Hoch über sich sah sie die zwei Silbermonde, von denen sie schon so viel gehört hatte. Sie blinkerten wie verschwörerisch zu ihr hinab, hüllten sie in sanftes Licht. In der Ferne erblickte sie wunderschöne Eisnymphen, die in einem grün schimmernden Tümpel badeten. Schlanken, vor Anmut schimmernde Gestalten, die sich alle friedlich summend im Tanz wiegten. Schwebend, einander an den Händen gefasst, und sich dann doch wieder loslassend.
    Den Schal mehrfach um den Hals geschlungen, die Hände wohlig in den weiten Manteltaschen versenkt, die Haare über und über mit Schneeflocken bedeckt, schritt sie tapfer weiter. Ihre festen Schritte wurden von der weichen Schneedecke geschluckt. Immer wieder sank sie knietief ein, als sie vorwärtshastete. Es war zu kalt zum Schlendern, und da war noch etwas anderes, was sie immer weiter vorantrieb – ein bisschen Hoffnung inmitten der Eiskristalle und der eisigen Schneemassen. Als sie sich für einen Moment umwandte, sah sie ihren Schatten, der sich auf bizarre Weise auf einem der Eiskristalle abzeichnete. Schneewehen ließen ihre Füße tiefer und tiefer einsinken. Die Zehen spürte sie bereits nicht mehr, die Sicht verschwamm, und hinter ihren Lidern entstand
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