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Der Schneekönig

Der Schneekönig

Titel: Der Schneekönig
Autoren: Astrid Martini
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geführt. Hier vergnügten sich lachende Nymphen inmitten prachtvoller Kissenlager mit ihren willigen Opfern. Weibliche Reize, Vergnügen und Lustbarkeiten füllten die Räumlichkeit bis in den letzten Winkel aus. Weiter ging es, bis sie vor einer verschlossenen Doppeltür aus Lapislazuli standen.
    Rund um diese Tür glänzte ein geheimnisvoller Lichtschein, der Amelie daran erinnerte, wie sie als Kind am Weihnachtsabend durch die Türritzen in die Wohnstube hineingespäht hatte, in der der Lichterbaum mit seinen goldenen Schleifen, rotbackigen Äpfeln und bunten Kugeln erstrahlte. Ein verbotener Blick, nur um ein einziges Mal das Christkind in seinem Festkleid mit all den bunten Päckchen im Arm zu sehen.
    Die Tür wurde von innen geöffnet, Amelies Begleiterin verschwand wie ein unsichtbarer Schatten und der Blick in den Raum, aus dem dieses magisch anziehende Licht kam, wurde frei. Sphinxe aus Lapislazuli saßen links und rechts an den Wänden entlang auf Eisblöcken. Der gesamte Saal wirkte überwältigend.
    Und inmitten des großen Raumes, getaucht in eine Aura aus Kristall, stand sie – die Schneekönigin. Hinter ihr ein mächtiger Thron, der über und über mit goldenen Ornamenten versehen war.
    Sie war noch schöner, als Amelie sie in Erinnerung hatte. Ihr langes weißes Kleid funkelte wie Eis. Hoch aufgerichtet stand sie da.
    Während Amelie die Herrscherin des Eises noch in atemlosem Schweigen anstarrte, kräuselten sich deren Lippen zu einem kalten Lächeln.
    „Da bist du ja endlich!“
    Endlich? Also war es die Schneekönigin selbst, die sie erwartet hatte? Warum?
    „Ich habe gehofft, dass du deinem Bruder folgen wirst“, wurde ihre stumm formulierte Frage beantwortet.
    „Aber ...?“ Amelie blickte sich suchend um.
    „Den, den du suchst, wirst du hier nicht finden. Aber ich werde ihn – sofern er es möchte – freigeben, wenn du vollbringst, was vor dir noch keine Frau vollbrachte.“
    „Und das wäre?“
    „Entfache das Feuer der Liebe in meines Bruders Herzen. Dann seid ihr beide frei.“
    „Ihr habt einen Bruder?“
    „Allerdings.“ Die Schneekönigin nahm Platz, drapierte ihr Kleid. „Für euch Menschen bin ich die böse Schneekönigin, die Kälte und Leid verbreitet. Jedoch ist es nicht mein Groll, den ihr Menschen von Jahr zu Jahr stärker zu spüren bekommt, sondern der meines Bruders – des Schneekönigs – von dessen Existenz niemand von euch etwas weiß. Wie auch, da er den Palast doch nie verlässt. Er ist für all das, was ihr mir andichtet, verantwortlich. Ich bin nicht einmal die, für die ihr mich haltet, denn ich bin keine Königin, allenfalls eine Schneeprinzessin.
    „Ihr sagt, Ihr selbst verbreitet kein Leid. Jedoch habt Ihr mir meinen Bruder genommen, mir damit großes Leid zugefügt. Und er ist nicht der Einzige, der schmerzlich vermisst wird.“
    Für einen winzigen Moment legte sich ein kaum wahrnehmbarer Schatten über die Augen der Schneeprinzessin. Leise antwortete sie: „Dies hat andere Gründe. Ich will es zu erklären versuchen.“
    Und so erfuhr Amelie von dem Wunsch der Schneekönigin, neben Sex endlich einmal Romantik, Leidenschaft und Liebe spüren zu dürfen. Erfuhr von der Sehnsucht nach diesem viel besungenen Gefühl, das die Macht besitzen sollte, ein jedes Herz zu erwärmen.
    „Oft habe ich über das große Gefühl namens Liebe gelesen. Sehr viel. Jedoch blieb mir es bis heute versagt, der Liebe selbst nachzuspüren.“ Sie blickte an Amelie vorbei in die Ferne. Dann kehrte ihr Blick zurück. „Seit Jahrhunderten wandere ich auf der Suche nach einem Mann ruhelos umher, der für mich entbrennt, der mir bedingungslos zugetan ist, der mich liebt.“ Sie lachte kurz auf, fuhr dann fort: „Es ist nicht so, dass diese Suche erfolglos blieb. Keinesfalls. Leider jedoch wurde bisher jeder Mann, den ich auch nur berührte, eiskalt.“
    „Weil die Liebe nicht stark genug war?“
    „Das dachte ich zunächst auch und suchte weiter. Unermüdlich. Bis ich merkte, dass mein Bruder, dessen Macht so viel größer und mächtiger ist als die meine, dahintersteckt. Jeden meiner Versuche, nur ein winziges bisschen dieser Liebe zu erhaschen, erstickte er bereits im Keim. Jede menschliche Regung verwandelte er binnen einer von ihm gesetzten Frist zu Eis. Dennoch suchte ich weiter. Auch wenn die Hoffnung zu schwinden begann, einen Mann zu finden, der stark genug wäre, der Macht meines Bruders zu trotzen und dem ewigen Eis zu entkommen.“ Sie seufzte leise, ihre
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