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Der Schneekönig

Der Schneekönig

Titel: Der Schneekönig
Autoren: Astrid Martini
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nördlichsten Hügels in eine Richtung fiel, in der sich ein zwischen uralten, hochaufragenden Bäumen windender Weg befand, dessen Verlauf man, selbst wenn man unmittelbar davorstand, nur erahnen konnte. Und doch wusste jeder, wo er hinführte. Laut einer Sage führte er ins Reich der Schneekönigin. Am Ende des Weges, der bis zu der Stelle führte, an der sich eine aus Frost und Zauber erbaute Brücke befand, sollte ein schimmernder See ruhen, der sich bis hoch zum Norden zog und dann urplötzlich hunderte von Metern hinabfiel, zu Tausenden von Eiskristallen gefror, die das Schloss der Schneekönigin umgaben. Und wer einmal den Weg durch den Wald über die Kristallbrücke bis zum Eissee und weiter bis zum Palast beschritten hatte, kehrte nicht wieder zurück, denn wer sich nicht in den Tiefen des Waldes verirrte und dort umkam, wurde im Reich der Schneekönigin festgehalten und erstarrte zu ewigem Eis.
    Schon als Kind wurde Amelie immer vor dem Wald und dem, was dahinter lag, gewarnt. Und waren Furcht und Vorsicht auch stark genug, dem Reiz des Verbotenen nachzugeben, so schwelte dennoch eine Flamme der Neugier in ihrem Inneren. Eine Neugier auf diesen geheimnisvollen Ort, in dessen Zentrum ein bizarres Schloss aus Eiskristallen stehen sollte, das unter dem Schein von zwei Silbermonden in allen Spektralfarben leuchtete.
    Amelie wandte ihren Blick ab, streifte weiter über Wiesen, auf denen der Tau im saftig grünen Gras glitzerte. Vorbei an hohen Hecken, in denen es geheimnisvoll raschelte – zu ihrer Lieblingsstelle, einem Jahrhunderte alten Steingrab, das sich inmitten von Wildblumen und Brombeerhecken befand.
    Ihr Gesicht den zarten Sonnenstrahlen entgegengestreckt, die Augen geschlossen, gab sie sich dem Zauber des Moments hin, losgelöst vom Hier und Jetzt. Einfach nur den Augenblick genießend – bis sie spürte, dass etwas nicht stimmte.
    Feiner Gesang war zu hören, glockenhell und klar. Amelies Blick wanderte suchend umher. Sie blinzelte erstaunt, als der Horizont sich schlagartig zu verfärben begann. Statt lieblichem Frühfrühlingsblau war von einer Minute auf die andere eine weiße, leicht violett schimmernde Nebelfront zu sehen, die sich gleich einem Vorhang zu teilen begann.
    Der eisgraue See, der dahinter zum Vorschein kam, wirkte so real, dass Amelie meinte, Seeluft auf ihren Lippen zu schmecken. Still und schimmernd schmückte er das Firmament, so klar und rein wie das feinste Glas. Geheimnisvoll schimmernd ruhte er am fernen Horizont. Das Wasser kräuselte sich sanft.
    Für den Bruchteil einer Sekunde tauchte ein greller Blitz auf, versetzte den See in Aufruhr. Inmitten der Schaumkronen stieg eine Insel aus dem Wasser, in deren Mitte ein prachtvoller Eispalast thronte. Gewaltig, groß und majestätisch. Die eisblau schimmernden Schneemauern waren mit vielen Simsen und Fensterbögen versehen. Obwohl sie aus Schnee und Eis waren, wirkten sie stark und sicher. Blass-lilafarbene Ranken wuchsen an den Mauern entlang und ein unwirklich fahles, einem mystischen Nebel ähnliches Licht leuchtete hinter den Fenstern. Ein faszinierendes Bild, das Amelie magisch in den Bann zog.
    Die Insel war über und über mit Eiskristallen bedeckt. Eiskristalle, die das edle Gebäude sowohl schmückend als auch schützend umgaben.
    Ungläubig bestaunte Amelie die bizarre Schnee- und Kristalllandschaft, die – seltsam verschwommen und doch so klar – das Firmament bedeckten, beschienen von den beiden Silbermonden, deren Strahlen sich an einem Punkt vor dem Palast zu kreuzen begannen.
    Inmitten dieses geisterhaft mystischen Lichts tauchte eine Gestalt auf, strahlend schön, in eine weiße Robe gehüllt, die über und über mit silbernen Eisblumen bestickt war.
    Die Schneekönigin
, schoss es Amelie einem Stromschlag gleich durch den Kopf. Die Herrscherin des Eises, überirdisch schön – aber auch kalt und abgrundtief böse. Mit ihren Händen begann sie ein Netz aus blendend weißen Fäden in die Luft zu weben. Flink wie eine Spinne spann sie ihr Netz, ein filigranes Gebilde aus winzigen, funkelnden Kristallfäden, die sich schließlich langsam spiralförmig vom Horizont aus ins Dorf hinab auf ein bestimmtes Ziel zu bewegten.
    Gebannt beobachtete Amelie das fremdartige Schauspiel, musste aber schon bald geblendet die Augen schließen. Sie blinzelte und konnte gerade noch erkennen, wie die Kristallfäden gebündelt auf eines der Dächer trafen. Dann war der Spuk vorüber und an der Stelle, wo eben noch die
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