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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
Autoren: Samia Shariff
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Schönes zu denken. Ich umschlang das Kopfkissen, als sei es mein geliebter Câlin, und summte die Melodie eines Liedes, das ich stets mit Amina gesungen hatte.
    Plötzlich hörte ich Kamel schreien. Ich lief über den dunklen Flur zu seinem Zimmer, machte Licht und versuchte ihn zu beruhigen.
    »Sei still, mein Kleiner! Alles ist gut, ich bin ja bei dir!«
    Ich wiegte ihn in meinen Armen und summte ein Schlaflied, das Mama ihm oft vorsang. Er beruhigte sich, schrie aber jedes Mal von Neuem, wenn ich das Zimmer verlassen wollte. Als ich mir keinen Rat mehr wusste, beschloss ich, ihn zu meiner Mutter zu bringen. Doch der dunkle Flur versetzte ihn in eine regelrechte Panik, und er brüllte aus vollem Halse.
    »Scht, Kamel! Scht! Mama kommt gleich!«
    Da öffnete meine Mutter die Tür ihres Schlafzimmers. Sie stieß mich grob beiseite, sodass ich gegen die Wand geschleudert wurde. Dann packte sie meinen Bruder.
    »Warum weinst du?«, fragte sie zornig.
    »Er weint schon eine ganze Weile. Ich habe alles versucht, aber er hört einfach nicht auf.«
    »Ab in dein Zimmer, ich muss mit dir reden! Mach schon!«, fuhr sie mich an und schob mich vor sich her zu meinem Zimmer.
    Ich sagte kein Wort, denn ich kannte meine Mutter genau. War sie wütend, musste man sich hüten, ihr zu widersprechen.
    »Setz dich und hör mir zu. Und sieh gefälligst zu Boden!«, befahl sie.
    Ich folgte ihrem Befehl.
    »Mit dir hat man ständig Ärger. Nicht einmal den Kleinen kannst du beruhigen, ohne das ganze Haus aus dem Bett zu holen. Vermutlich hast du ihn aufgeweckt, weil du Angst hattest. Ich kenne dich genau, du verdorbenes Ding! Leg dich unter deine Decke, ich will dich nicht mehr sehen! Möge Gott dich doch zu sich rufen!«, flehte sie und hob den Blick zum Himmel.
    Ich kauerte mich unter meine Decke und machte mich ganz klein, um ihrer Wut zu entgehen. Nachdem sich eineFlut von Schimpfworten über mich ergossen hatte, verließ sie mein Zimmer. Ich war sehr aufgewühlt und musste tief durchatmen, um mich zu beruhigen. Dann bat ich um Gottes Hilfe für mich, meine Freundin und meinen Bären Câlin.
    Am nächsten Morgen kam mein Bruder Malek ganz aufgeregt in mein Zimmer.
    »Schnell! Steh auf! Wir wollen im Garten einen Schatz suchen!«
    Das war eine gute Idee. Natürlich gab es keinen Schatz. Als wir das festgestellt hatten, rannten wir ausgelassen über die Wiese. Als Malek mich versehentlich schubste, fiel ich auf ein paar Glasscherben. Meine Knie bluteten so heftig, dass mein Bruder entsetzt meine Mutter holte. Doch der Anblick meiner blutüberströmten Knie rührte sie nicht im Geringsten.
    »Das hast du gut gemacht! Jetzt hast du hoffentlich begriffen, dass du nicht wie ein ungezogener Junge herumtoben sollst, sondern dich still zu verhalten hast wie ein richtiges Mädchen. Kümmere dich selbst um deine Wunden!«, fuhr sie mich schroff an.
    Damit ging sie davon, als sei nichts geschehen. Mein Bruder tauchte ein Papiertaschentuch in Wasser und säuberte meine Wunden. Dann erschien mein älterer Bruder Farid, legte einen Verband an und riet mir, ins Haus zurückzugehen.
    Ein paar Tage später begann die Schule. Meine drei Brüder sollten die Schule der Weißen Väter besuchen, um ihre Französischkenntnisse zu pflegen und zu verbessern, während man mich auf einer Privatschule angemeldet hatte, wo der Unterricht in arabischer Sprache stattfand.
    Ich konnte kein einziges arabisches Wort lesen. Es war eine sehr leidvolle Erfahrung. Der Lehrer überschüttete mich mit Vorwürfen und machte sich einen Spaß daraus, mich als dummes Ding zu beschimpfen, was meine Klassenkameradinnen immer wieder erheiterte. Daher fand ich keinenAnschluss und blieb eine Außenseiterin. Alle Mädchen sahen in mir eine Heuchlerin und warfen mir vor, mich als reiche Französin aufzuspielen. Sie nahmen es mir übel, dass ich anders als sie war. Heute weiß ich das, aber damals verstand ich ihr Benehmen nicht. In Frankreich warf man mir vor, Araberin zu sein, und hier warf man mir vor, Französin zu sein!
    Von Tag zu Tag wurde die Schule immer unerträglicher. Als ich eines Abends allein in meinem Bett lag, beschloss ich, nicht mehr dorthin zu gehen. Der Chauffeur meines Vaters setzte mich jeden Morgen vor der Schule ab, aber ich schlängelte mich nur durch die Menge der Schüler, um diesen schrecklichen Ort wieder zu verlassen, ohne dass es jemand bemerkte. Ich wollte der Klasse nicht länger zum Gespött dienen.
    Nun verbrachte ich die Tage damit, durch die
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