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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
Autoren: Samia Shariff
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oben in den Schrank.
    »Bitte, Mama, gib mir meinen Bären zurück!«, schrie ich.
    Ich weinte, doch meine Mutter blieb unerbittlich. Sie schubste mich aus dem Haus und verschloss die Tür. Dann zog sie mich mit zu unserer Nachbarin, um dieser den Schlüssel zu geben. Als die Mutter von Amina die Türe öffnete, sah sie meine Tränen.
    »Was hat denn meine schöne Samia?«
    »Sie will nicht wegfahren, ohne sich von ihrer Freundin zu verabschieden.«
    »Warte kurz, Warda! Ich wecke Amina. Das ist doch sehr wichtig.«
    Meine Tränen flossen unaufhaltsam, und immerzu verlangte ich nach meinem Bären. Amina kam die Treppeheruntergeeilt. Sie warf meiner Mutter einen hasserfüllten Blick zu.
    »Ich bin ja da, ich bin ja da, weine nicht mehr!«, wiederholte sie immer wieder.
    Ich schluchzte nur noch mehr.
    »Câlin liegt in dem Schrank, der im Flur steht. Ich darf ihn nicht mitnehmen. Ich werde ihm nichts erzählen können, was er deinen Puppen weitergeben könnte. Wie sollen wir denn dann in Verbindung bleiben?«
    »Los jetzt, sonst wird es dir noch leidtun!«, drängte meine Mutter.
    Amina konnte mir gerade noch versprechen, dass sie Câlin holen und immer auf ihn achten würde. Mit gesenktem Blick ging ich fort. Ich wollte nichts mehr sehen.
    Dann stieg ich in das schöne neue Auto meines Vaters. Ich war so furchtbar unglücklich ohne Amina und nun auch noch ohne Câlin, der mich hätte trösten können! Meine Freundin fehlte mir schon jetzt, und wehmütig dachte ich an unsere Spiele und Erlebnisse. Wie ungerecht war das Leben doch zu mir!
    Was würde in diesem Land dort unten geschehen, das ich überhaupt nicht kannte? Um mich herum lächelten alle, während mir das Herz brechen wollte vor Kummer. Meine Brüder sahen aufgeregt dem neuen Leben in Algerien entgegen. Auf den Vordersitzen redeten meine Eltern über unser neues Haus am Meer. Sie sprachen über Dinge, die sie dort unten verwirklichen wollten. Alle hatten Bilder der Zukunft vor Augen, während ich nur an die Vergangenheit dachte, der ich bereits jetzt nachtrauerte! Als ich an mein zukünftiges Heimatland dachte, erfasste mich eine unerklärliche Unruhe.
    Meine Familie und ich gingen an Bord des riesigen Schiffes, das uns vierundzwanzig Stunden später in Algerien wieder an Land setzen sollte. Ich wollte die Kabine, die ich mit meinen jüngeren Brüdern teilte, nicht verlassen. Um die Mittagszeit, während meine Brüder über das Deck rannten, kam meine Mutter herunter, um mich zu suchen. Sie bestand darauf, dass ich in dem feinen Restaurant des Schiffes aß, aber ich weigerte mich aufzustehen. Sie wurde wütend und packte mich am Arm.
    »Steh auf«, schrie sie und holte aus, um mich zu schlagen.
    Ich hob die Hand schützend vor mein Gesicht, aber zu meiner Überraschung beruhigte sie sich plötzlich wieder.
    »Weißt du, was der Hauptgrund für unsere Abreise aus Frankreich ist?«, fragte sie unvermittelt.
    »Nein«, antwortete ich aufrichtig.
    »Wir tun es für unsere Kinder und vor allem für dich«, verkündete sie feierlich.
    »Für mich?«
    »Ja, für dich! Frankreich ist kein Land, in dem wir unsere Kinder erziehen lassen möchten, und schon gar nicht unsere Tochter. Wir wollen dir eine gesunde Erziehung zuteil werden lassen, wie es sich für eine gute Muslimin gehört.«
    Ich wusste nicht, was die Worte gute Muslimin bedeuteten, aber ich sollte es bald erfahren.
    Als es Nacht wurde, ging jeder in seine Kabine. Meine Mutter deckte meine jüngeren Brüder zu. Nachdem sie das Licht ausgemacht hatte, verließ sie die Kabine.
    »Glaubst du, dass es in Algerien sehr heiß ist, Samia?«, wollte mein jüngerer Bruder Kamel wissen.
    »Ja, ich glaube schon.«
    »Meinst du, dass die Leute dort unten nett sind?«, fragte er weiter.
    »Ja, bestimmt. Und unsere Großeltern werden uns sicher verwöhnen. Schlaf gut, kleiner Bruder.«
    Als ich die Augen schloss, sah ich Amina vor mir. Vermutlich hatte sie meinen Bären aus dem Schrank geholt und zusich genommen. Dass Câlin in Sicherheit war, beruhigte mich, und ich schlief friedlich ein.
    In aller Frühe wurden wir vom Geschrei meiner Mutter geweckt.
    »Schnell, steht auf. Wir haben nicht einmal mehr zwei Stunden, um uns anzuziehen und zu frühstücken. Samia, hilf Malek und kommt uns dann nach ins Restaurant.«
    Sie kümmerte sich um Kamel, während ich meinem ein Jahr jüngeren Bruder Malek behilflich war.
    »Samia, ich liebe dich«, verkündete Malek mit tiefem Ernst. »Es tut mir weh, wenn Mama böse mit dir ist.
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