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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
Autoren: Samia Shariff
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liebste Vater der Welt. Sieh nur, Samia, wie schön meine Puppe ist.«
    »Sie ist sehr schön, Amina, und dein Vater ist sehr lieb.«
    Auf dem Heimweg dachte ich daran, wie glücklich Amina doch war. Bereits an der Haustür fing mich meine Mutter ab und packte mich am Ohr.
    »Wo hast du dich wieder herumgetrieben?«
    »Ich war bei Amina. Dort habe ich die Puppe angesehen, die ihr Vater ihr mitgebracht hat. Ich habe nichts Schlechtes getan, Mama!«
    »Aha, nichts Schlechtes getan! Ich mag es nicht, wenn du zu dem Müllmann gehst. Ich wette, er hat die Puppe in einem Mülleimer gefunden … Habe ich nicht recht?«
    »Ja, du hast recht, Mama. Aber sie ist ganz sauber. Ihre Mutter hatte sie doch abgewaschen.«
    »Fändest du es denn etwa auch schön, eine Puppe aus dem Abfall zu bekommen?«
    »Wenn mein Vater sie mir schenken würde und wenn sie genauso hübsch wäre, würde ich sie gerne nehmen«, antwortete ich aufrichtig.
    »Dein Vater würde sich niemals so weit erniedrigen, dir eine solche Puppe zu schenken«, empörte sich meine Mutter mit hochmütigem Blick.
    Damit wandte sie sich ab. Doch ich ließ nicht locker, denn ihre Antwort hatte mich neugierig gemacht.
    »Warum schenkt mein Vater mir nie etwas? Er könnte mir doch auch etwas mitbringen, um mir eine Freude zu machen.«
    »Dir eine Freude machen? Und du, hast du deinem Vater schon jemals einmal eine Freude gemacht?«
    »Ja! Ich bin immer brav und gehorche ihm.«
    »Weißt du, was deinem Vater wirklich Freude machen würde?«
    »Nein, sag es mir doch bitte!«
    »Wenn du niemals geboren worden wärest«, erklärte meine Mutter böse.
    An diesem Abend beschloss ich, meinen Vater zu bitten, dass er mir eine Puppe schenkte. Als ich dies meinem ein Jahr jüngeren Bruder Malek eröffnete, riet er mir davon ab, vor allem dann, wenn mein Vater nach der Arbeit müde wäre.
    »Spiel lieber mit meiner Garage!«, bot er mir eifrig an.
    Aber ich hatte nur noch eines im Sinn: Ich wollte meiner Freundin auch eine Puppe zeigen können! Als mein Vater nach Hause kam, ging er sogleich ins Wohnzimmer und ließ sich in seinen Lieblingssessel fallen. Wie jeden Abend brachte meine Mutter eine Schüssel mit lauwarmem Wasser, in die er seine Füße tauchte.
    Als ich eintrat, hatte mein Vater die Augen geschlossen, während meine Mutter vor ihm kniete und seine Füße wusch. Es war kein guter Zeitpunkt, um ihn anzusprechen, denn er konnte wütend werden und mich schlagen.
    So ging ich auf mein Zimmer zurück, um ihm meine Bitte schriftlich anzutragen: »Papa, ich liebe dich, und ich möchte eine Puppe haben. Du bist der liebste Papa der Welt.« Dann versteckte ich meine Botschaft unter seinem Kopfkissen. Am Abend schlief ich in der Hoffnung ein, mein Vater würde mir die so heiß begehrte Puppe schenken. Kurz darauf trat meine Mutter unvermittelt in mein Zimmer.
    »Hast du diesen Zettel geschrieben?«
    »Ja«, antwortete ich verschlafen.
    »Was steht darauf?«
    »Ich bitte ihn, dass er mir eine Puppe schenkt.«
    »Hast du vergessen, dass dein Vater kein Französisch lesen kann? Will das Fräulein jetzt, da es schreiben kann, etwa seinen Vater ärgern?«
    »Nein, Mama. Ich dachte, Papa könnte mehrere Sprachen lesen.«
    Alles, was ich tat, lieferte einen Anlass zu Verdächtigungen. Jetzt wurden mir bereits bösartige Hintergedanken unterstellt, wenn ich meinem Vater einen kleinen Zettel schrieb und ihn um eine Puppe bat! Mein Bruder riet mir, mich von diesem Wunsch zu verabschieden. Mein Vater verabscheute Puppen. Für ihn waren sie Abbilder des Teufels, die in einem ordentlichen Haushalt nichts verloren hatten.
    Eines Tages weckte mich das Freudengeschrei meiner Brüder. Rasch stand ich auf und rannte in die Küche, aus der die Stimmen zu mir gedrungen waren. Unter der Aufsicht von Mama zogen meine vier Brüder ihre schönsten Sachen an. Erregt berichteten sie mir, dass sie zur Eröffnung des neuen Restaurants von Papa fahren würden. Da ich auch mitkommen wollte, lief ich in mein Zimmer zurück, um mich anzuziehen.
    »Was hast du vor?«, rief meine Mutter mir nach.
    »Ich ziehe mich für das Restaurant an.«
    »Nein, nein. Du darfst nicht mit. Nur die Jungen.«
    »Warum denn nicht?«
    »Du bist doch kein Junge! An dem Tag, an dem du einen Penis hast, können wir noch einmal darüber reden. Aber jetzt bleibst du zu Hause«, befahl sie.
    »Dann kaufe ich mir einen. Ich will einen Penis haben«, verkündete ich mit der gleichen Entschiedenheit.
    Meine Mutter geriet außer sich. Sie
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