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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
Autoren: Samia Shariff
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Straßen von Algier zu streunen, ohne etwas zu essen und zu trinken, bis der Unterricht zu Ende war. Dann kehrte ich zur Schule zurück und tat so, als käme ich gerade aus dem Gebäude, sodass der Chauffeur keinen Verdacht schöpfte. Drei Tage lang schwänzte ich die Schule. Dann wurde mein Vater schriftlich in die Schule einbestellt. Da der Brief in französischer Sprache geschrieben war, musste mein Bruder Farid ihn übersetzen. Mir war klar, dass nun ein Unwetter bevorstand. Ich flüchtete in mein Zimmer und wartete.
    Ich hörte, wie mein Vater mit schwerem Schritt die Treppe hinaufstampfte. Je näher er kam, desto stärker klopfte mein Herz. »Gott, verschone mich, Gott, hilf mir!«, flehte ich, sprang auf mein Bett und umklammerte das Kopfkissen, um mich zu schützen. Die Tür flog auf, und mein Vater stürmte wutentbrannt herein. In der Hand hielt er seinen Gürtel.
    »Du verdorbenes Ding! Ich schufte mich zu Tode für dich. Ich wähle eine Privatschule für dich aus, damit du lesen lernst und eine anständige Erziehung erhältst. Und so dankst du mir das alles!«
    Nun holte er mit seinem Gürtel aus und ließ ihn wie eine Peitsche auf mich niedersausen. Unaufhörlich prasselten die Schläge auf mich nieder, bis ich das Bewusstsein verlor. Ich erinnere mich, dass ich die Augen erst wieder in den Armen meiner Mutter aufschlug, die mir das Gesicht mit kühlem Wasser benetzte. Wie im Traum drang ihre Stimme aus weiter Ferne zu mir:
    »Da siehst du, was du angerichtet hast! Bist du nun zufrieden? Schlaf jetzt und ruh dich aus. Morgen ist ein neuer Tag.«
    Am nächsten Morgen kam Malek und sagte mir, ich solle im Bett bleiben. Mein Vater hatte beschlossen, mich in einer französischen Schule anzumelden, die von katholischen Nonnen geleitet wurde und für ihre Strenge und Disziplin bekannt war.
    In dieser neuen Schule lebte ich mich rasch ein und fand zwei Freundinnen, die Französisch sprachen: Nabila und Rachida. Es gab vieles, das uns miteinander verband. Nabila kam ebenfalls aus sehr begüterten Verhältnissen, während Rachida einer mittelständischen Familie entstammte. Ihre Eltern waren bereit, alles zu tun, um ihrer einzigen Tochter ein erfolgreiches Leben zu ermöglichen. Sie nahmen sogar Schulden auf sich, um ihr eine gute Schulbildung zu bezahlen.
    Wir erfanden Geschichten, die uns zum Lachen brachten, und so begann ich, die Schule zu lieben. Eines Morgens fragte meine Mutter mich, warum ich so glücklich sei, in die Schule zu gehen. Ich antwortete ihr, dass ich zwei Freundinnen gefunden hatte und wir viel Spaß miteinander hätten. Sie schärfte mir ein, den Unterricht ernst zu nehmen, da meine Schulzeit vermutlich nur sehr kurz sein würde. Ich überhörte ihre Andeutung, denn ich wollte meine Freundinnen ohne düstere Gedanken wiedersehen.
    Als ich einmal aufgrund einer schlechten Note die Unterschrift meiner Eltern einholen musste, fragten meine Freundinnen mich, wie sie reagiert hätten. Ich log und behauptete, mein Vater hätte mir Fernsehverbot erteilt. In Wahrheit nahmen meine Eltern meine schlechten schulischen Leistungen gleichgültig hin. Immer wieder erklärten sie: »Die Schule ist nicht wichtig für ein Mädchen, das einmal seinem Ehemann dienen wird.«
    Dank meiner Freundinnen war diese Phase meines Lebens recht glücklich, zumindest während der Schulstunden. Allerdings war es mir nicht erlaubt, andere Mädchen zu besuchen oder nach Hause einzuladen. Meine Mutter glaubte, sie könnten einen schlechten Einfluss auf mich ausüben, denn womöglich redeten sie auch über Jungen, was für ein ehrbares Mädchen wie mich ein absolutes Tabuthema darstellte. Ich durfte nicht einmal an Jungen denken, denn sie verkörperten das Böse, da sie mich und somit auch meine ganze Familie entehren konnten. Daher musste ich vor ihnen auf der Hut sein. In meinem Alltag kam ich nie mit Jungen in Kontakt, denn ich durfte das Haus nicht ohne Begleitung verlassen, und zur Schule brachte mich ein Chauffeur. Wenn meine Brüder Freunde nach Hause einluden, befahl meine Mutter mir, so lange bei ihr zu bleiben, bis die Freunde wieder fortgingen. Damit wollte sie verhindern, dass einer von ihnen mit mir sprach oder mich gar berührte.
    In dieser Zeit brachte meine Mutter eine zweite Tochter zur Welt. Das war eine furchtbare Enttäuschung für meine Eltern! Aber ich liebte meine kleine Schwester. Nun war ich nicht mehr das einzige Mädchen; wir waren stärker, denn nun waren wir zu zweit. Ich war überzeugt, dass wir
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