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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
Autoren: Samia Shariff
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Jungen mit Fragen, wie der Richter entschieden hatte. Und wieder musste ich ihnen antworten, dass noch keine Entscheidung gefallen sei.
    Caroline fragte mitfühlend, ob ich noch könnte.
    »Ich muss wohl! Sollte der Richter negativ entscheiden, kann ich mich wenigstens damit trösten, dass ich alles versucht habe. Wenn er unseren Antrag ablehnt, so ist er entweder ein gefühlskalter Mensch, oder ich habe meine Leiden überschätzt. Vielleicht verdienen es andere Einwanderer mehr als wir, hierbleiben zu dürfen!«
    Meine Mutlosigkeit war nicht zu übersehen. Caroline nahm mich in den Arm.
    »Wenn irgendjemand das Recht hat hierzubleiben, dann du, Samia!«
    Sonia hatte sich in eine andere Ecke des Raumes zurückgezogen. Ich sah, dass sie weinte. Auch sie hatte vor einigen Jahren diese entscheidende Anhörung über sich ergehen lassen müssen.
    Teilnahmsvoll gesellten sich meine Töchter zu mir.
    »Was immer jetzt auch kommen mag, ich bin stolz auf dich«, sagte Melissa. »Ich bewundere deinen Mut und deine Kraft. So eine Mutter wie dich gibt es nur einmal, und ich bin stolz darauf, deine Tochter zu sein.«
    Norah sah mich lächelnd an, als wollte sie den Worten ihrer Schwester beipflichten. Nun meldete sich auch meine Anwältin zu Wort.
    »Ich bin trotz allem optimistisch, Samia. Mir scheint, dass euer Fall den Richter nicht gleichgültig gelassen hat.«
    Zwar freuten mich ihre Worte, doch ich wollte mich keinen falschen Hoffnungen hingeben und auf alles gefasst sein.
    Um 15.45 Uhr – ich erinnere mich noch daran, als sei es gestern gewesen – rief man uns in den Sitzungssaal zurück. Der Richter bat uns, Platz zu nehmen.
    »Madame, ich gebe Ihnen zwei Minuten, um Ihren Antrag zu begründen.«
    Jetzt stand die Entscheidung unmittelbar bevor. Die Augen meiner Töchter waren auf mich gerichtet. Sie vertrauten mir, und meine Jungen erwarteten ohnehin eine positive Antwort. Ich holte tief Luft und setzte mit fester Stimme zu meinem Plädoyer an.
    »Euer Ehren, alles, was ich Ihnen heute erzählt habe, ist leider nichts als die reine Wahrheit. Stünde ich noch einmal vor den gleichen Entscheidungen, so würde ich sie wieder treffen. Denn ich bin überzeugt, dass dies die beste Lösung war, um uns, meinen Kindern und mir, den Weg in die Freiheit zu ermöglichen.«
    Der Richter wandte sich an Melissa.
    »Was hast du mir zu sagen?«
    »Ich möchte Sie bitten, unser Vorgehen zu verstehen und meiner Mutter zu glauben, denn alles, was sie gesagt hat, ist wahr!«
    »Jetzt bist du an der Reihe, Norah.«
    »Ich« – Tränen rannen ihre Wangen hinunter – »ich möchte sagen … normalerweise bittet man Gott um Mitleid, aber heute bitte ich Sie darum. Sie halten unser Schicksal in Ihren Händen.«
    Der Richter musterte mich schweigend, bevor er das Wort ergriff.
    »Der Großteil Ihrer Geschichte scheint mir wahr zu sein, bei manchen Punkten bin ich skeptisch. Doch ich bin überzeigt, dass Ihr Leben schwierig war und Sie sehr viel durchgemacht haben.«
    Er machte eine Pause und verkündete dann seine Entscheidung:
    »In Anbetracht dieser Leiden spreche ich Ihnen das Recht zu, bei uns zu bleiben. Willkommen in Québec, Madame! Seien Sie und Ihre Kinder bei uns willkommen!«
    Ich traute meinen Ohren nicht! Meine Töchter sprangen jubelnd auf. Ich blickte auf meine Anwältin, die vor Freude weinte.
    Ohne zu überlegen, umarmte ich den Richter, und die beiden Mädchen folgten meinem Beispiel. Auch die Beisitzerin schlossen wir in die Arme. Nun sah ich sie mit ganz anderen Augen. Wie dankbar war ich diesen beiden Menschen, die unserem Leben die entscheidende Wendung gegeben hatten!
    Ich dankte meiner Anwältin, die mich so einfühlsam unterstützt hatte. Meine Tränen flossen unaufhörlich, aber zum ersten Mal in meinem Leben waren es Freudentränen, die ich vergoss. Bevor ich den Saal verließ, dankte ich dem Richter noch einmal und empfahl ihm verschmitzt:
    »Euer Ehren, vergessen Sie nicht, die Spuren des Lippenstiftes zu entfernen, sonst haben Sie am Ende noch Probleme, wenn Sie nach Hause kommen.«
    »Da kommt ja die algerische Frau zum Vorschein«, erwiderte er schmunzelnd.
    Jetzt gingen wir zu den draußen wartenden Freundinnen, um ihnen die frohe Botschaft zu verkünden.
    »Ich wusste es, Samia!«, rief Caroline. »Der Richter konnte einen so guten Menschen wie dich einfach nicht zurückweisen! Sei mit all deinen Kindern willkommen! Sechs zukünftige Kanadier, welch ein Segen für unser Land!«
    Fremde Leute, die auf ihre
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