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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
Autoren: Samia Shariff
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Zuneigung meiner Eltern gesehnt hatte, wurde mein Bedürfnis nach Zuwendung hier auf eine Weise gestillt, wie ich es mir nie hätte vorstellen können!
    Die Unterkunft im Frauenhaus war jedoch zeitlich begrenzt. Als Norah und ich endlich Sozialhilfe erhielten, mussten wir uns eine Wohnung suchen. Entscheidend war, dass wir dort alle genügend Platz hatten; die Lage war uns nicht so wichtig.
    Nach ein paar Tagen hatte ich eine ansprechende Wohnung gefunden. Aber kurz darauf teilte mir der Besitzer mit, dass seine Tochter nun dort einziehen würde. Einerseits war ich enttäuscht, aber andererseits froh darüber, dass wir noch ein wenig länger in der Unterkunft bleiben konnten.
    Ich fürchtete mich davor, das Frauenhaus zu verlassen. Würde ich in der Lage sein, mich in einer neuen Umgebung ganz allein zurechtzufinden?
    Ich suchte weiter. Doch es war kein leichtes Unterfangen, denn niemand wollte eine Wohnung an eine alleinstehende, arbeitslose Frau mit fünf Kindern vermieten.
    Nach ein paar Wochen erfolglosen Suchens machte mir die Leiterin des Frauenhauses einen Vorschlag:
    »Im oberen Stock des Gebäudes befindet sich eine Wohnung, die wir für einen begrenzten Zeitraum immer wieder an Frauen wie dich vermieten. Sie ist groß genug für euch, außerdem möbliert und gut ausgestattet. Die Miete ist auch erschwinglich. Hier wirst du dich weniger allein fühlen, bis du eine dauerhafte Bleibe für deine Familie gefunden hast. Außerdem können wir dir weiterhin behilflich sein, wenn es nötig ist. Länger als elf Monate kannst du dort allerdings nicht wohnen. Was hältst du davon?«
    Elf weitere Monate an diesem Ort! Ich traute meinen Ohren kaum! Es war zu schön, um wahr zu sein. Diese Lösung bot so viele Vorteile: Meine Kinder mussten nicht die Schule wechseln, und wir hatten ein richtiges Zuhause. Noch dazu war ich weiter in der Nähe meiner Schutzengel. Für mich war das die ideale Fügung, um wieder in meine Rolle als Mutter hineinzufinden.
    Es wurde vereinbart, dass wir die Wohnung nach Zachs Geburtstag beziehen sollten.
    Bei diesem Fest kamen alle Bewohner und Mitarbeiter des Frauenhauses zusammen. Inmitten von bunten Luftballons und vollgestopft mit Kuchen war Zach der König. Ein ganzer Berg von Geschenken wartete auf ihn. An diesem Tag fiel mir auf, dass die Freude der Helfer ebenso groß war wie die der Menschen, denen geholfen wurde.
    Zum Einzug schenkte France den Kindern ein paar schöne Plüschtiere. Die Wohnung war wunderbar und mit Geschirr und Bettwäsche ausgestattet. Der Druck, eine dauerhafte Bleibe zu finden, nahm nun erst einmal ab; wir konnten den wohlverdienten Aufschub genießen.
    Trotz der eisigen Kälte, an die wir uns nur schwer gewöhnten, gediehen die Kinder prächtig. Norah arbeitete jetzt in der Cafeteria einer Oberschule. Fürs Erste war sie glücklich darüber, Geld zu verdienen, doch sie wollte so bald wie möglich wieder zur Schule gehen.
    Die Tage vergingen, und unser Leben normalisierte sich immer mehr. Melissa schilderte ihre Erlebnisse in der Schule, Elias berichtete immer wieder von neuen Freunden, und Ryan schwärmte unaufhörlich von seiner Lehrerin Anne-Marie. Er träumte davon, sie zu heiraten, wenn er einmal groß wäre.
    Ich selbst verbrachte die meiste Zeit zu Hause mit Zach. Da wir wegen der Kälte nur selten nach draußen gingen, wurden mir die Tage oft lang. Einmal in der Woche hatte ich ein Gespräch mit Caroline, der Mitarbeiterin des Frauenhauses. Alle zwei Wochen kam die Sozialarbeiterin, die ich gleich nach unserer Ankunft kennengelernt hatte. Sie unterstützte die Einwanderer bei den Formalitäten. Diese Treffen gaben mir immer wieder Mut, aber trotzdem blieb die bange Frage, ob all meine Mühen wirklich erfolgreich sein würden.
    Meine düstere Stimmung und meine Antriebslosigkeitblieben der Sozialarbeiterin nicht verborgen. Fürsorglich riet sie mir, einen Psychologen aufzusuchen, um meine aufkommende Depression rasch zu behandeln. Außerdem konnte er ein psychologisches Gutachten erstellen, das der Richter bei der Entscheidung über unseren Asylantrag zu berücksichtigen hatte.
    Je mehr ich mich in Montréal einlebte, desto mehr fürchtete ich die Antwort der Einwanderungsbehörde. Die Vorstellung, dass all unsere Anstrengungen umsonst gewesen sein könnten, demoralisierte mich zutiefst. Eine Rückkehr nach Frankreich würde ich nicht mehr verkraften!
    Madame Venturelli, meine Anwältin, hatte prophezeit, dass ich um mein Bleiberecht würde kämpfen müssen.
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