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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
Autoren: Samia Shariff
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die im Raum herrschte. Ich fühlte mich erschöpft und innerlich ganz leer. Nun ergriff der Richter das Wort:
    »Ich danke Ihnen, Madame Rafik. Jetzt haben wir noch einige weitere Fragen an Sie.«
    Ich faltete die Hände, um mich innerlich zu wappnen.
    »Sie sagen, dass Ihre Eltern sehr streng waren! Durften Sie Freundinnen haben?«
    »Ich durfte niemals auch nur eine einzige Freundin nach Hause einladen.«
    Die Beisitzerin räusperte sich. Nun würde gleich eine Frage von ihr kommen. Meine Hände waren eiskalt.
    »Warum haben Sie nicht schon in Algerien die Scheidung verlangt? Dann hätten Sie keine Probleme bei der Ausreise gehabt!«
    Die Frau fixierte mich mit durchdringendem Blick.
    »Ich konnte die Scheidung nicht verlangen. Das ist einer Frau in Algerien nicht gestattet!«
    »Aber ich kenne algerische Frauen, die die Scheidung verlangt und erreicht haben«, erwiderte sie in schneidendem Ton.
    »Diese Frauen würde ich gerne einmal kennenlernen, denn das ist schlicht unmöglich. In Algerien kann keine Frau die Scheidung verlangen, wenn ihr Ehemann nicht einwilligt. Ein Mann kann sich allerdings scheiden lassen, ohne dabei seine Frau zu fragen. Entschuldigen Sie, aber da muss ich Ihnen widersprechen«, entgegnete ich und konnte nur mühsam meinen Ärger im Zaum halten.
    »Ich muss meiner Klientin recht geben«, griff meine Anwältin nun hastig ein, um wieder Ruhe in das Gespräch zu bringen. »Mein Mann ist Algerier, und ich weiß, dass die Frauen in diesem Land kaum Rechte besitzen. Eine algerische Frau kann ohne die Zustimmung ihres Ehemannes niemals die Scheidung erreichen.«
    Stundenlang folgte nun eine Frage auf die andere. Ich kam mir vor wie bei einem Marathonlauf. Und ich musste wachsam bleiben, um mich klar auszudrücken, denn jedes unglücklich gewählte Wort konnte zu meinem Nachteil ausgelegt werden. Vor jeder Antwort dachte ich an meine Kinder, deren Wohl nun ganz von meinem Geschick abhing. Mit ihrem Bild vor Augen gelang es mir, mich immer wieder zu konzentrieren. Ich durfte keinen Fehler machen!
    Mittags wurde die Sitzung unterbrochen, und wir konnten essen gehen. Mein Hals war ganz rau vom vielen Reden. Die Anwältin konnte die Haltung des Richters nicht deuten, seine Miene blieb unergründlich. Aber da meine Erzählung sie sehr bewegt hatte, hoffte sie, dass es dem Richter ebenso gegangen war. Das gab mir neuen Mut.
    Vor dem Sitzungsraum stürzten die Jungen auf uns zu.
    »Erlaubt uns der Mann, in Kanada zu bleiben?«, wollte Ryan wissen.
    »Es ist noch nichts entschieden. Nach dem Essen geht es weiter.«
    »Ich will auch mit ihm sprechen. Ich werde ihn bitten, nett zu sein, damit wir Kanadier werden können. Ich mag meine Lehrerin so gern und will mit meinen Freunden zusammenbleiben. Ich werde ihm sagen, dass ich für immer hier bleiben will!«, erklärte er selbstsicher.
    »Ich weiß, mein Großer. Aber du musst abwarten, ob der Richter mit dir sprechen will.«
    Mein Sohn schnaubte ungeduldig.
    Mittlerweile war auch Sonia erschienen. Um in ihrer Arbeitfreizubekommen, hatte sie behauptet, dass ein Verwandter gestorben sei. Es tat mir gut, sie und Caroline in diesem entscheidenden Augenblick an meiner Seite zu wissen.
    Meine Nervosität war so groß, dass ich nichts essen konnte. Doch ich stillte meinen Durst mit mehreren Gläsern Saft. Als ich daran dachte, dass vielleicht alles umsonst sein würde, traten mir Tränen in die Augen. Meine Freundinnen nahmen mich in den Arm und beruhigten mich wieder.
    Ungeduldig wartete ich auf die Fortsetzung der Anhörung und fürchtete mich gleichzeitig vor den Fragen des Richters. Mit dem Ende der Mittagspause blieb mir glücklicherweise keine Zeit mehr, diesen widersprüchlichen Empfindungen nachzuhängen.
    Ich umarmte meine Kinder und Freundinnen, bevor ich erneut den Sitzungsraum betrat. Dabei lief mir eine Gänsehaut über den Rücken. Zum Glück beruhigte mich die Gegenwart meiner Anwältin ein wenig.
    Der Richter rief nun auch die Jungen herein. Gefolgt von Caroline traten sie ein. Sie schienen beeindruckt von diesem Mann, dessen Wichtigkeit ich ihnen hinlänglich ausgemalt hatte. Ohne recht zu verstehen, was vor sich ging, war ihnen doch die Tragweite dieses Augenblicks bewusst.
    Der Richter fragte jeden meiner Söhne nach Namen und Alter. Zach schwieg, denn er hatte keine Ahnung, was das alles sollte. Also beließ er es dabei, den Richter anzustrahlen und lustige Grimassen zu schneiden.
    Elias trat spontan auf den Richter zu, um seine Krawatte zu
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