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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
Autoren: Samia Shariff
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nehmen. Jetzt müssen wir ihnen nur noch beweisen, wie wichtig es für uns ist, hier leben zu können.«
    Unter Carolines wachsamem Auge hatten meine Söhne ihren Spaß daran, durch die Flure zu rennen, ohne sich auch nur im Geringsten um das eigentliche Geschehen zu kümmern. Umso besser!
    Die Anwältin bat uns nun herein, während die Jungen bei Bedarf hereingerufen werden sollten.
    Der Richter thronte am Ende eines langen Tisches in der Mitte des Verhandlungsraumes. Dieser stattliche, hochgewachsene Mann strahlte eine natürliche Autorität aus, die mich einschüchterte. Aber seine schelmisch blickenden Augen hinter der Nickelbrille und seine Fliege verliehen ihm für mich auch etwas Sympathisches.
    Links von ihm saß die Beisitzerin: dezentes Make-up, strenge Frisur, klassische, schlichte Kleidung in gedeckten Farben. Nicht eine Spur von Lockerheit! Meine Anwältin hatte mich bereits darauf vorbereitet, dass sie mir mehr Fragen stellen würde als der Richter. Ihre Aufgabe war es, den wunden Punkt ausfindig zu machen, falls es einen gab.
    Einen Moment lang glaubte ich in ihrem Blick etwas Lauerndes ausmachen zu können. Ich musste auf der Hut sein und mich auf das Schlimmste gefasst machen. Oder täuschte ich mich in ihr? Vor lauter Anspannung wurde ich ganz unsicher.
    Meine Anwältin nahm am anderen Ende des Tisches Platz, und ich setzte mich zwischen meine beiden Töchter. Ich war bereit, bis zum Letzten zu kämpfen. Es schien mir so, als sei ich die Angeklagte in einem Prozess, in dem mir schwere Verbrechen zur Last gelegt wurden.
    Mit ruhiger, ernster Stimme ergriff der Richter das Wort. Er stellte sich vor und forderte uns auf, seinem Beispiel zu folgen. Selbstsicher nannte meine Anwältin ihren Namen und ihren Beruf; dann kamen meine Töchter und ich an die Reihe. Ich saß verkrampft auf meinem Stuhl, und kalter Schweiß brach mir aus, als der Richter sich nun an mich wandte.
    »Ich kenne Ihre Geschichte bereits, Madame Rafik. Aber ich möchte sie gerne aus Ihrem Mund hören. Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen. Wir hören Ihnen zu.«
    Nun musste ich mein Leben einem Mann schildern, den ich nicht kannte, der aber über das Schicksal von mir und meiner Familie entscheiden würde. Er war ein Fremder,doch ich musste mich ihm anvertrauen. Wie dachte er über Frauen? Mochte er Kinder? Ich schob solche Überlegungen beiseite, da es mir ohnehin schon schwerfiel, die Fassung zu bewahren.
    Ich atmete tief durch. In den Tagen vor der Anhörung war ich meinen Lebenslauf mehrmals durchgegangen, um meinen Asylantrag in Québec begründen zu können. Als ich mit klopfendem Herzen zu meiner Erzählung ansetzte, fühlte ich mich wie vor einem Sprung vom Zehnmeterturm.
    Innerlich aufgewühlt schilderte ich den Charakter meiner Eltern, die absolute Autorität meines Vaters und meine Leiden als kleines muslimisches Mädchen, das von seiner Familie abgelehnt wurde. Ich beschrieb meine Zwangsverheiratung und die Misshandlungen durch meinen Ehemann. Ich erzählte, wie man mir meinen Sohn weggenommen hatte, und konnte nicht verhindern, dass mir Tränen in die Augen traten. Ich sprach von meinem Wunsch nach Scheidung und dem Zorn meiner Eltern, die nicht davor zurückschreckten, mich samt meiner Töchter einzusperren, um meinen Widerstand zu brechen.
    Auch wenn mir die Worte flüssig über die Lippen kamen, wurde mein Hals rau bei der Schilderung all meiner Leiden. Dankbar leerte ich das Wasserglas, das man mir freundlicherweise hingestellt hatte. Die Augen des Richters und der Beisitzerin ruhten auf mir, doch ihre Gesichter blieben undurchdringlich. Meine Anwältin hingegen lächelte mir aufmunternd zu.
    Ich kam nun zu meiner zweiten Ehe mit Hussein und damit auch zu den Demütigungen und Drohungen, denen wir ausgesetzt waren. Ich beschrieb den Fundamentalismus und das Klima des Terrors in Algerien, um verständlich zu machen, warum wir nach Frankreich geflohen waren. Dann erzählte ich von den Unannehmlichkeiten, die wir dort erlebt hatten, und von meiner Entscheidung auszuwandern.
    Bei allem, was ich hier preisgab, hatte ich meinen Gefühlen freien Lauf gelassen. Ich hatte nichts ausgespart. Ich hatte Unterdrückung, Demütigungen und Drohungen beschrieben, die uns dazu verdammten, in ständiger Angst zu leben. Der Richter wusste nun, was wir durchgemacht hatten. Vielleicht würde er nun auch unsere Freude über die Ankunft in diesem Land besser verstehen.
    Dann schwieg ich und nahm für einen Moment die Stille wahr,
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