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Der Schatz von Dongo

Der Schatz von Dongo

Titel: Der Schatz von Dongo
Autoren: A.E. Hotchner
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und mein Körper rebellierte jeden Abend
von neuem gegen diese rauhen, zerknitterten Laken. Vielleicht aber
weinte ich auch über die Nächte, in denen ich allein schlafen mußte,
und über die Tage, an denen ich morgens ohne den Kopf einer Frau an
meiner Schulter und mit dem ganzen Körper in Erektion erwachte.
Vierundzwanzig Jahre mal 365 ist gleich 8.760. 8.760 Nächte auf dieser
kalten, strohgefüllten, sackleinenbezogenen, abstoßenden Pritsche, und
ebenso oft kein Konzert gehört, kein heißes Bad genommen, nicht
geschwommen, nicht aus einer Speisekarte ausgewählt, nicht in einer
Buchhandlung gestöbert, keinen Tennisball über das Netz geschlagen,
nicht getanzt oder auf November-Maisfeldern Fasane gejagt oder in einem
Theater gesessen oder ein Auto gelenkt oder Parfüm gerochen. Nicht ein
einziges Mal freiwillig zu Bett gegangen, freiwillig aufgestanden,
allein auf der abgeschlossenen Toilette gesessen oder sogar –
kaum zu glauben – eine Hand geschüttelt: nicht einmal das,
denn im Zuchthaus gibt man sich nicht die Hand.
    Aber steh auf, Paul, mein Alter, trockne dir die Augen und hör
endlich auf, dich selbst zu bemitleiden. Du bist doch entlassen, nicht
wahr? Also laß diese traurige Bilanz. Sie schulden dir 8.760
Tage – und du wirst kassieren.
    Seit jenem Augenblick, da ich die Regierungsbarkasse von Santo
Stefano nach Neapel betreten hatte, während des langen, heißen Wartens
in Neapel und dann während der Reise im Viehwaggon nach Rom hatte ich
mich auf ein Bad in einer Wanne voll heißem Wasser gefreut. In Santo
Stefano durften wir uns einmal pro Woche mit brauner Kernseife waschen,
und das kalte Wasser war so knapp rationiert, daß es, wenn man sich
gründlich eingeseift hatte, nicht reichte, die Seife abzuwaschen. Ich
packte meine Tragtasche aus: ein Fläschchen Aspirin, Kamm und Bürste,
Zahnbürste und Zahnpasta, Rasierapparat, im Zuchthaus hergestellte
Taschentücher, zwei Garnituren gefängnisgrauer Unterwäsche und Socken
und den Glücksbringer, den mir Giorgio, mein einziger Freund in der
Strafanstalt, vor einem Jahr geschenkt hatte, als er entlassen wurde:
eine Metallmünze von einem Paket russischem Tabak, die Giorgio von
einer verliebten Hure in Palermo bekommen hatte. Den Pappkasten mit
meinen Papieren ließ ich in der Tragtasche stecken.
    Ich entkleidete mich, befreite mich von den durchgeschwitzten,
schweren, wie Kletten am Körper klebenden Kleidern und blieb einen
Augenblick nackt an der offenen Balkontür stehen, um das Gefühl der
lauen Brise auf meinem feuchten Körper zu genießen. Dann fiel mir ein,
daß ich diese gräßlichen Sachen ja wieder anziehen mußte, wenn ich über
den Flur ins Badezimmer ging.
    Als ich nach einem Bad, das mindestens zwei
Stunden gedauert hatte, wieder ins Zimmer zurückkehrte – ich
hatte die Wanne zweimal gefüllt, nur weil ich es so unendlich genoß,
wie das Wasser über meinen Körper strömte –, lag ein Paket auf
meinem Bett. Ich packte es aus und fand einen dunkelblauen Anzug aus
leichtem Material, zwei feine Baumwollhemden, zwei Seidenkrawatten,
Socken, Taschentücher, Unterwäsche, einen Ledergürtel, ein Paar
schwarze Schuhe und eine Armbanduhr, die zwar nicht neu, aber solide
war. Ich rollte meine Gefängniskleidung zu einem festen Bündel zusammen
und warf dieses später, als ich zu Dan aufbrach, in eine leerstehende
Wäschekammer.

2
    D ie Gesamterscheinung Natalie Reeders war
weitaus eindrucksvoller als die Einzelaspekte. Dans Frau hatte schöne,
weit auseinanderstehende Augen, doch Nase und Kinn waren so eckig, daß
man sich versucht fühlte, die Kanten mit Sandpapier abzuschleifen. Der
Farbton ihrer tiefroten Haare war unvorteilhaft für ihren Teint, schien
aber zu ihrem Wesen zu passen, zu ihrer ganzen lebhaften, freundlichen,
herzlichen und energischen Persönlichkeit. Sie trug ein Kleid aus
israelischen Gebetsmänteln – ich hörte später, daß sie vor
kurzem in Israel gewesen war, um die Aufstellung einer riesigen Menora
zu überwachen, die sie entworfen hatte und die auf einem Berggipfel
direkt gegenüber von einem neuen Museum postiert wurde –, und
um den Hals eine schwere Kette aus verschlungenem, gedrehtem Metall,
ein Produkt ihrer Schmuck-Kreationsperiode. Ich beobachtete sie, wie
sie sich im Raum bewegte, die Gäste miteinander bekannt machte, und war
tief beeindruckt, wie effektvoll sie sich ihrer Aufgabe entledigte.
    Ich fühlte mich schrecklich gehemmt in den geliehenen Kleidern
und mit meiner
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