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Der Schatz von Dongo

Der Schatz von Dongo

Titel: Der Schatz von Dongo
Autoren: A.E. Hotchner
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Gefängnisvisage, doch keiner der Gäste schenkte mir
besondere Beachtung, jeder schüttelte mir bloß flüchtig die Hand. Dans
Schuhe und sein Anzug paßten mir überraschend gut, nur die Hosenbeine
waren ein wenig zu kurz, so daß ich die Hose ganz auf die Hüfte
herunterziehen mußte. Die Namen, die ich hörte, präsentierten sich mir
als unverständliches Kauderwelsch, im Laufe des Abends jedoch lernte
ich einige Gäste unterscheiden. Unter anderem einen amerikanischen
Schriftsteller und dessen Frau, Korrespondentin einer einflußreichen
Zeitschrift, eine englische Schauspielerin, die von kleineren Rollen in
britischen und amerikanischen Filmen lebte, die in Cinecittà gedreht
wurden, einen Ozeanographen aus Key West, einen israelischen Beamten,
eine amerikanische Schauspielerin, die sich ihr Geld als englische
Synchronsprecherin für italienische Filme verdiente, zwei
Protokoll-Kleriker des Vatikans, eine Fotografin mit Bubikopf, einen
französischen Anthropologen und schließlich einen italienischen
Couturier, der augenblicklich mit einem Einfall Furore machte, der mir
als ›Partner-Look‹ beschrieben wurde. Wie Dan vorausgesagt hatte, waren
einige der Mädchen recht gut, aber die gesamte Gesellschaft war von
einer Art kristallenem Chic, von dem ich mich ausgeschlossen fühlte.
Wenn dies jedoch eine typische Gesellschaft war, dann konnte man gut
verstehen, warum Natalie Reeder als Königin der Society betrachtet
wurde.
    Auf einer Terrasse vor dem großen Salon, in dem wir uns
aufhielten – jedes Zimmer des Hauses, das sich die Reeders aus
einer ehemaligen Mietskaserne umgebaut hatten, besaß eine eigene
Terrasse –, überwachte ein Diener in weißem Jackett ein Lamm,
das am Bratspieß über einem Holzkohlenfeuer brutzelte – eine
römische Delikatesse namens abbacchio . Ich brauche nicht zu betonen, daß ich in Santo Stefano nie etwas
Derartiges zu essen bekommen hatte. Der maggiordomo , der tat, als hätte er mich noch nie gesehen, servierte mir einen Drink,
doch nach meiner Erfahrung mit dem Scotch am Nachmittag nippte ich
daran langsam und sehr vorsichtig.
    Die Ehefrau des Schriftstellers erzählte von einem Erlebnis,
das sie am selben Nachmittag mit einem Steuereinzieher gehabt hatte.
Die Einkommenssteuer in Italien sei ein Witz, sagte sie, aber man müsse
bestimmte Formalitäten über sich ergehen lassen. Bei den ausländischen
Journalisten, die alle einer Organisation namens Stampa Estera angehören, läßt sich ein Steuereinnehmer in den Büros dieser Stampa
Estera nieder, und die Journalisten erscheinen der Reihe
nach vor ihm, um ihm ihre Einkünfte anzugeben. Aufgrund einer mit dem
Einzieher vorher getroffenen Verabredung geben sie alle die gleiche
Summe an – 700.000 Lire pro Jahr –, als ob alle
ausländischen Journalisten genauso festen Lohn bekämen wie die
Fabrikarbeiter. Die Schriftsteller-Ehefrau erzählte nun, sie habe ihre
ältesten Kleider angezogen und, als sie an der Reihe war, nicht
nur – wie alle anderen – erklärt, sie verdiene
schäbige 700.000, sondern obendrein noch angegeben, daß ihr Ehemann,
der Schriftsteller, seit drei Jahren überhaupt nichts verdient habe.
»Ah, Signora«, habe da der Steuereinnehmer geseufzt, »warum haben Sie
dann nicht Ihren Mann geschickt?«
    »Da wir gerade von Ehemänner sprechen«, meldete sich die
englische Schauspielerin, die von kleineren Rollen lebte, zu Wort. »Ich
ging gestern über die Via Veneto, als plötzlich ein Mann auf mich
zukam, den ich noch nie im Leben gesehen hatte, mich herzlichst
begrüßte und endlos auf mich einredete, bis er schließlich merkte, daß
ich ein verständnisloses Gesicht machte. Worauf er sagte: ›Himmel,
Ducky, wie viele Ex-Ehemänner triffst du eigentlich auf der Via
Veneto?‹ Ob ihr es glaubt oder nicht: zehn Jahre lang war ich mit ihm
verheiratet, habe mein einziges Kind von ihm, habe mich dann vor sechs
Jahren scheiden lassen, und nun habe ich ihn nicht einmal
wiedererkannt!«
    Völlig ungewohnte Sinneseindrücke nahmen mich gefangen: der
Anblick von Frauen, die guten Küchendüfte, Zigaretten in offenen
Behältern, die leuchtenden Farben der Bilder an der Wand, die Berührung
einer Frauenhand, als ich Feuer gab, die ungewohnte Unterhaltung auf
englisch, das Gefühl des Teppichs unter meinen Füßen, die unheimlich
wirkenden riesengroßen Fenstertüren.
    Dan hatte der Fotografin den Arm um die Schultern gelegt.
»Ingrid hat ein Problem«, erklärte er, an alle gewandt. »Sie ist am
vergangenen
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