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Der Schatten von nebenan - Roman

Der Schatten von nebenan - Roman

Titel: Der Schatten von nebenan - Roman
Autoren: Michael Saur
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ein Ende gesetzt. Ich richtete ein Büro im Keller ein, wollte meine Arbeitsroutine finden und den Roman endlich vorantreiben. Das Büro bestand aus einem dick gemauerten Raum mit nur einem kleinen Schlitz auf der Gartenseite als Fenster nahe der Decke. Es war nicht viel mehr als eine Kammer mit einem Zementfußboden und einer einzelnen Glühbirne, die von der niedrigen Decke baumelte. Mein Computer war ein Osborne 1a, den ich ein Jahr zuvor gebraucht gekauft hatte. Er hatte die Größe eines alten Fernsehers, aber der Bildschirm war klein wie eine Indexkarte. Er wog mehr als zwanzig Pfund und lief mit dem CP/M -Operationssystem und einem Textverarbeitungsprogramm namens WordStar, und sein grüner Cursor blinkte wie das Auge einer Fliege.

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    D iese Mischung an Informationen und Erinnerungen ergeben in Verbindung mit dem Fremden an unserer Tür ein mysteriöses Gleichgewicht. Aber richtig deutlich kann einem jede Symmetrie erst werden, wenn sich alles zu einem Ganzen fügt. Und ich wusste noch nicht, wie die Dinge sich zum Schluss verbinden würden, als der Mann aus Florida mich fragte: »Darf ich mal telefonieren?«
    »Bitte«, sagte ich und streckte eine Hand einladend ins Innere des Hauses. »Mein Name ist Randolph Durant«, erwiderte er. Dann wiederholte er seinen Namen für mich, als wollte er sichergehen, dass ich ihn nicht vergaß.
    »Galvin Shelby«, stellte ich mich nun ebenfalls vor.
    Er drückte mir eine beige Visitenkarte in die Hand, die überladen aussah mit ihren kleinen, geschwungenen Buchstaben. »Ich bin Reporter für unsere kleine Zeitung, ›The Pique Times‹«, sagte er. Ein klassisches, zweisilbiges Wort aus dem Süden: PEE-CUE , dachte ich. »Wurde hier hochgeschickt für eine Geschichte. Um ehrlich zu sein, ich besitz die Zeitung auch«, sagte er.
    Im Stillen fragte ich mich, wer ihn geschickt haben könnte, wenn er sowohl Besitzer als auch der Reporter der Zeitung war. Aber es ging mich nichts an. Ich schloss die Tür und folgte dem Mann nach drinnen. Auf dem Weg in die Küche sah ich, dass er humpelte. Sein linkes Bein blieb für einen Augenblick zurück, bevor es mit dem Rest seines Körpers gleichzog.
    »Das Telefon ist gleich hier«, sagte ich, auf das alte Wählscheibenmodell an der Küchenwand deutend. Ich roch den kochenden Kaffee und nahm zwei Tassen aus einem offenen Regal. Der Fremde stellte seinen Koffer auf den Boden, kramte ein kleines, in schwarzes Leder gebundenes Buch aus der Seitentasche seines Jacketts und fing an zu wählen. Die Stimme eines Mannes im Radio kündigte das »Herbstkonzert« von Vivaldi an.
    »Kaffee?«, fragte ich.
    Er nickte freundlich, während er wartete, bis jemand abnahm. Ich goss den Kaffee ein und beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Er sah elegant aus in seinen grauen Anzughosen, die auf altmodische Art hoch an den Hüften saßen. Der Mann erinnerte mich an einen Spieler in einer der Poolhallen im alten Distrikt von Storyville in New Orleans, wo ich als Dreizehnjähriger einige Monate gelebt hatte. Ich war damals immer gerne am frühen Abend ohne Erlaubnis in eine der Billardhallen ausgebüchst. Meine damalige Pflegemutter bezeichnete die spielenden Männer als Eidechsen, nicht ohne Verachtung. Sie zischte das Wort den Männern in ihren engen Jacken und dünnen Krawatten mit ihren musischen Bewegungen zu, wenn sie kam, um nach mir zu suchen. Sie mochte es nicht, wenn ich dort war, und ich vermutete immer, dass mein Umzug nur ein paar Monate später etwas mit meinen Besuchen in der Poolhalle zu tun gehabt hatte. Die drei oder vier Mal, die sie mich suchen kam, wurde sie von den Spielern ignoriert, so wie sie fast jeden ignorierten, der nicht selbst ein Spieler war. Sie ließen auch mich in der Regel links liegen, mit Ausnahme dieses einen Mannes. Er besaß den gleichen altmodischen Stil wie der Fremde, anders als die anderen Männer beim Billardspiel, die sich figurbetonter anzogen. Dieser Spieler hatte alles auf langsame Art getan. Er war sehr genau, wenn er eine Kugel spielte. Seine Stöße waren langsam, aber kraftvoll. Er hatte sich auf jeden Stoß mit derartigem Geschick und solcher Präzision vorbereitet, dass er die meisten anderen Spieler übertraf. Der Mann hatte mir jedes Mal eine Zehncentmünze zugesteckt, wenn er mich sah. An guten Tagen waren es auch mal fünfundzwanzig Cent. Und als Kind, das so früh seinen Vater verloren hatte, schlug ich mich fast instinktiv auf die Seite von Gewinnern. Ja, es dämmerte mir früh, dass es zu den
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