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Der Schatten von nebenan - Roman

Der Schatten von nebenan - Roman

Titel: Der Schatten von nebenan - Roman
Autoren: Michael Saur
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einem der oberen Fensterbretter, und jemand hatte ein paar Dutzend rötliche Büsche in Terrakottatöpfe gepflanzt, die die Treppe entlang auf den Stufen aufgereiht standen. Die »Times«, in blau-durchsichtiges Plastik gewickelt, steckte noch im Gitter, das die Kellertür schützte.
    »497 Carroll Street, da lebt er«, sagte Durant mit düsterer Stimme. Eine Frau mit weißer Polizeimütze in einem langsamer werdenden Streifenwagen starrte uns an. Ich nickte ihr zu, und sie lächelte zurück und fuhr weiter.

-7-
    D urants plötzlicher Stimmungsumschwung wurde auf unangenehme Art deutlicher, je länger ich ihn ansah, anfangs noch darauf wartend, dass sein Ausdruck aus Ärger und Verstörung verschwand, ja, vielleicht nur ein Schatten war, der von irgendwoher auf sein Antlitz oder sein Gemüt gefallen war. Aber das genaue Gegenteil geschah. Das Gesicht fror fest. Ich befürchtete jetzt sogar, er könnte richtiggehend Schwierigkeiten verursachen und wollte ihn von Amos’ Haus fortlotsen. Als ich ihm fest auf die Schulter tippte, war ich froh, dass er meiner plötzlichen Eile nachgab. Ein paar Minuten lang gingen wir wortlos nebeneinander her. Als wir an der Buchhandlung Chapelle’s auf der Seventh Avenue vorbeikamen, anderthalb Straßenblocks vor dem Coffee Shop, versteifte sich Durant erneut. Er streckte seinen Arm aus und deutete auf das, was er gesehen hatte. Auf einem fransigen Teppich stapelte sich Amos’ jüngster Roman »River Blue«. Im Stillen verdross mich, nicht gleich daran gedacht und rechtzeitig auf die andere Straßenseite gewechselt zu haben. Über ein Dutzend Exemplare lagen aufeinander, jedes Buch vom vorigen ein wenig nach links gedreht, was die Säule wie einen gewaltigen Ölbohrer erscheinen ließ. Der Roman war vor zwei Monaten erschienen. Ein Poster im Fenster zitierte die ersten Zeilen: »Vor fünf Tagen wurden die verkohlten Leichen eines Mannes, einer Frau und eines Kindes in dem trockenen Bett des Black Creek begraben. Jeder wusste bereits, dass sie tot waren. Jeder sah in die andere Richtung …«
    Ich erinnerte mich sehr gut an den Anfang des Romans. Allein den ersten Absatz zu lesen, rief bei mir einen gewissen Zauber hervor, wenn auch nicht diese vollkommene Zufriedenheit, die ich von seinen alten Büchern her kannte. Amos hatte sich als Dichter, Übersetzer, Kritiker und Drehbuchautor einen Namen gemacht. Vor allem aber war er Romanautor. So hatte er begonnen, das würde er immer sein. Er verknüpfte die verschiedenen Punkte seiner Geschichten meisterhaft miteinander. Das war der Unterschied zwischen uns, und gleichzeitig war es etwas, das uns verband. Für mich bestand das Leben aus einer Reihe komplizierter Zusammenhänge. Ich glaubte dennoch an einen unsichtbaren Plan, dem alles folgt. Und im Beschreiben des Ungesehenen war David Amos ein Meister. Ich musste zugeben, dass sein letztes Buch nun irgendwie anders ausgefallen war. Es fehlte an der üblichen Symmetrie, jedenfalls hatte ich sie nicht aufspüren können. Amos’ Welten waren immer dunkel, doch spürte ich in seinen anderen Romanen, dass diese Welten gleichzeitig mit Licht und Hoffnung durchflutet waren. Dieser Wechsel zwischen Dunkel und Hell zwang mich, beim Lesen gleichzeitig zu hetzen und zu pausieren. Anders als die vorigen Bücher behielt »River Blue« das Mysteriöse bis zum Schluss, war irgendwie dunkler. Aber trotz der fehlenden gewohnten Balance sprang mich das Buch an, als würde es atmen. Und da war noch etwas anderes gewesen: Nach etwa fünfzig Seiten kam es mir vor, als sei Material übrig, Material, von dem ich dachte, ich könnte es für mich nutzen und etwas Eigenes erschaffen, und so vage dieses Gefühl auch am Anfang gewesen sein mag, es prägte mein Leseerlebnis des Buches. Es trieb mich voran.
    Auf der Fensterscheibe von Chapelle’s klebten Kopien von Buchbesprechungen aus verschiedenen Zeitungen. Die meisten von ihnen waren hochtrabend. Einige hatte ich gelesen, und auch sie hatten mich unbefriedigt gelassen, da sie etwas in dem Roman hervorhoben, das sie auch nicht genau benennen konnten. Es war wie ein unbekanntes Gewürz in einem Mahl, das jeder schmeckt. Wenn ich es schaffte, das Unbenannte herauszuheben, dachte ich, dann könnte vielleicht etwas ausbrechen, würde daraus etwas erwachsen, das ich mein Eigen nennen könnte.
    Es war nun klar, dass Durant nicht gekommen war, um ein harmloses Autoreninterview für seine Zeitung zu führen, so viel verstand ich. Meine Neugierde darüber, was der Mann
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