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Der Schatten von nebenan - Roman

Der Schatten von nebenan - Roman

Titel: Der Schatten von nebenan - Roman
Autoren: Michael Saur
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verbindet.
    »Sie sind auf der Carroll Street gelandet. Union Street ist einen Block weiter oben auf der Seventh Avenue«, sagte ich.
    Sein Hemd war bis zum Adamsapfel zugeknöpft. Er trug keine Krawatte, obwohl er so aussah, als ob er das normalerweise täte.
    »Aber Sie haben kein Glück«, sagte ich, »das Hotel, das sie suchen, hat zugemacht. Da wohnen jetzt andere Leute.«
    Er drehte sich wieder zu mir, als erwarte er weitere Erklärungen. Ich zuckte mit den Achseln, denn ich wusste nur, dass das »Bed & Breakfast« ein paar Wochen nach unserem Umzug geschlossen hatte. Durch puren Zufall hatte ich bei einem meiner späteren Spaziergänge durch die Nachbarschaft eine entrüstet wirkende alte Dame mit einem kräftig nach unten ziehenden Koffer aus dem Haus kommen und in ein schwarzes Taxi steigen sehen. Ich ahnte sofort, dass sie die Besitzerin gewesen sein musste. Bald darauf begannen an dem Gebäude Renovierungsarbeiten. Nachdem Handwerker die Fassade neu gestrichen hatten, brachte niemand mehr das Leffert-L.-Buck-Schild an, was auch seltsam gewesen wäre, da Buck in Wirklichkeit nie in dem Haus gelebt hatte und das Kupferschild höchstwahrscheinlich von einem Flohmarkt stammte. Der richtige Ort für das Schild war ein herrschaftliches Gebäude auf Manhattans Upper East Side, wo es nicht, wie an der Hauswand in Park Slope, allein aus dekorativen Gründen gehangen hätte.
    Der Fremde nickte auf die andere Straßenseite hinüber, zu einem mintgrünen Coupé. Der Chromkühler und die Weißwandreifen schienen hell in der Vormittagssonne, das Dach des Wagens war mit einer Plane aus schwarzem Vinyl bespannt, das matt im frühen Licht schimmerte. Ich versuchte das Kennzeichen zu lesen, aber es war zu weit weg. Der Mann sah sich um, schaute hinunter zur Seventh Avenue und blickte dann zum Prospect Park, durch die Allee ordentlicher Stadthäuser hindurch mit ihren sauberen, kleinen Vorgärten, in denen die Leute an Wochenenden Flohmärkte aufbauten und Bücher und Küchengeschirr verkauften. Der Verkehr war spärlich. Vögel in Bäumen zwitscherten, und irgendwo spielte jemand Violine.
    Er kniff die Augen zusammen und nahm erst das Haus zu unserer Linken und dann das zu unserer Rechten ins Visier. »Bin die ganze Nacht durchgefahren«, sagte er, »von Florida. Und gestern fast den halben Tag im Auto gesessen. Flugzeuge? Traue denen einfach nicht. Stürzen ab wie betrunkene Spatzen. Union Street, sagen Sie? Sie würden es nicht für möglich halten, ist ja verhext. Ich bin direkt hier gelandet. Genau richtig angekommen.«
    Ich begriff nicht, was der Mann für verhext hielt. Er war einen Straßenblock entfernt von seinem Ziel, was zugegebenermaßen nicht weit war, gemessen an der langen Anreise aus Florida, aber es war ein Ziel, das es nicht einmal mehr gab. Und dennoch erschien der Mann plötzlich seltsam erregt.

-3-
    E r hatte mit seinen Bemerkungen unbeabsichtigt eine Verbindung zu mir hergestellt. Er hatte durch diesen scheinbar kleinen Hinweis auf seine Reise mein Interesse geweckt, hatte ein bestimmtes Bild in meinem Kopf hervorgerufen, das mich einbezog. Man stößt auf jemanden, der den gleichen Mantel trägt, der das gleiche Lieblingslied hat oder dasselbe Buch schätzt, und auf so eine Entdeckung folgt gerne die Annahme, dass solche Zufälle über den einfachen Mantel, das Lied oder Buch hinausgehen. So war es mit dem Mann an der Tür.
    Ich hatte mich als Kind in der Obhut einer staatlichen Behörde befunden, die mich im Zick-Zack zu Familien in verschiedenen Staaten brachte. Ich zog für einige Jahre nach Illinois, lebte ein Jahr in St. Petersburg in Florida, vier Monate in Nashville, der Stadt, die von ihren Einwohnern »Guitar« genannt wird, ein Jahr in Casper, Wyoming, dann in New Orleans, St. Louis (»Gateway«), Kansas (»Bright Lights«), Nashville und endlich in San Diego, wo ich die Highschool abschloss, und von wo aus ich an die Ostküste zurückkehrte, um mit meinem Studium am New Yorker City College zu beginnen. Ich hatte ein Waisenleben gelebt, war in Schwierigkeiten geraten, hatte einige Freunde gefunden, vielleicht auch einige Feinde, war pausenlos am Koffer-Ein-und-Auspacken gewesen, wieder und wieder alles verlassend, ohne mit denen, die ich verließ, je wieder in Kontakt zu treten. Ich wurde gefahren, abgeholt und hingebracht, in Busse und manchmal Züge und nur in selteneren Fällen in Flugzeuge gesetzt. Ich hatte diese Reisen immer gemocht. Meine Augen waren dann nach draußen gerichtet, ich
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