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Der Schatten von nebenan - Roman

Der Schatten von nebenan - Roman

Titel: Der Schatten von nebenan - Roman
Autoren: Michael Saur
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großen Aufregungen im Leben gehört, auf einen Gewinner zu stoßen.
    Der Fremde in unserer Küche wählte noch einmal. Diesmal antwortete jemand. »Hallo«, sagte er ins Telefon, und nach einer kurzen Pause fuhr er fort, »Ja, ich bin schon bei einem Nachbarn, ja, ja, schon.« Er grinste und brach kurz in Gelächter aus. Dann fragte er nach einem Mann namens Charles. Durant legte nach einer kurzen Verabschiedung wieder auf, um gleich darauf eine neue Nummer auszuprobieren. »Auch kein Glück«, sagte er nach ein paar Sekunden.
    »Hier«, schob ich die Kaffeetasse in seine Richtung. Nachdem er etwas Zucker in den Kaffee gerührt hatte, trank er und wischte sich dann mit seinen sauberen und gut manikürten Fingern an seinem Anzug ab. Einen Moment lang zögerte ich, um mich nicht auf unvorhersehbare Art in eine Angelegenheit zu verwickeln, die mich nichts anging. Aber dann gewann meine Neugierde. »Was ist denn der Grund für Ihre Reise? Eine Geschichte, die Sie für die Zeitung schreiben?«
    »Eine Geschichte?«, sagte er mit Hohn in der Stimme, »ja, ich schätze, so können Sie es nennen.« Einen Moment lang schien er darüber nachzudenken, ob er noch mehr sagen sollte.
    »Nun, ich kam wegen einer Geschichte, um genau zu sein …«
    Ich lächelte und nickte, verstand aber nicht. Ein Mann, der sich wiederholt, dachte ich. Nur dass er noch gar nicht wirklich etwas gesagt hatte.
    Aber dann, ein paar Sekunden später, fuhr Durant fort, »Sie haben einen Nachbarn, der bekannt ist. Deswegen bin ich hier.«
    Ich wusste mit solch zielgerichteter Sicherheit, von wem er sprach, dass ich mich beinahe ertappt fühlte.
    »Ich mein David Amos«, sagte Durant weiter, »der Mann hat sieben Romane geschrieben, und seinetwegen bin ich gekommen.« Damit kramte Durant ein weiteres Stück Papier aus einer seiner Taschen hervor und sagte: »Denn ich nehm an, von der Hausnummer her wohnt er nebenan. Ja, ja, das muss es sein.«

-5-
    Z um ersten Mal sah ich David Amos kurz nach unserem Umzug im Postamt von Park Slope, wo er vor mir in der Schlange wartete. Eine ältere Frau redete auf ihn ein, obwohl ihr kleiner Hund ihn unaufhörlich aus ihrer Handtasche heraus ankläffte. Niemand außer mir und der Frau schien sich darum zu kümmern, dass Amos mit in der Schlange stand. Als er an die Reihe kam, sprach er frei von trügerischer Höflichkeit mit dem Angestellten hinter dem Schalter. Er kaufte zwanzig Briefmarken und zahlte in bar. Nachdem er das Büchlein mit den Marken in einem vornehmen Portemonnaie verstaut und das Postamt verlassen hatte, überkam mich ein plötzlicher Impuls, und ich folgte ihm auf die Straße. Ich fürchtete schon, ihn in der Menge auf dem Bürgersteig verloren zu haben, aber da entdeckte ich ihn einen halben Straßenblock vor mir. Er ging auf das Gebäude der Grundschule Nummer 321 zu, wo Mütter und Aupairmädchen sich unterhielten. Als er im kleinen Lebensmittelladen an der Ecke Garfield Street und Seventh Avenue verschwand, stand ich neben der Laterne und wartete, verwundert über mich selbst, erstaunt über meine Verfolgungsaktion. Als Amos aber mit einer gefüllten Papiertüte aus dem Laden kam, ging ich ihm weiter die Seventh Avenue hinterher, bis er in die Carroll Street einbog.
    Sein Kopf war gesenkt. Ich hatte noch nie jemanden so in Gedanken verloren gesehen. Sich ihm ganz zu nähern, schien unmöglich. Es wirkte, als wäre er von dieser Welt durch eine unsichtbare Mauer getrennt. Doch da ich seine Bücher kannte, schien hinter dieser Wand ein Geheimnis zu warten. Ich folgte ihm, weil ich schon bei der Lektüre seiner Bücher gespürt hatte, dass er jemand war, der aus Labyrinthen herausführen konnte, Knoten zu lösen im Stande war, egal ob in dieser Stadt, in diesem Land oder sogar auf einem anderen Planeten.
    Als er unser Haus passierte, dachte ich einen Augenblick lang, er würde auf unsere Tür zugehen. Er lief natürlich vorbei und verschwand im Haus nebenan. Ich sah mich um und wartete etwa eine halbe Minute. Was für ein Glück, am Leben zu sein, dachte ich. Für einen Augenblick schien es mir fast unanständig, im Besitz dieses Hauses zu sein, mit den Bäumen davor, an denen gerade die ersten Knospen trieben. Ich sah einen einzigen Löwenzahn, der sich durch einen Zementriss auf dem Bürgersteig reckte. Dann ging ich langsam zurück und stieg durch unseren Kellereingang in mein Büro hinab.
    Viele Schriftsteller leben in Park Slope, wo sie Häuser kaufen und Dinner-Partys abhalten, und dabei
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