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Der Schatten von nebenan - Roman

Der Schatten von nebenan - Roman

Titel: Der Schatten von nebenan - Roman
Autoren: Michael Saur
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wirklich wollte, ebbte sogar ab. Ich fühlte, dass seine Intensität sich in etwas Unkontrollierbares verwandeln könnte, woher auch immer sein Ärger über dieses Buch rührte. Doch ich erkannte auch, dass es zu spät war, mich aus dem Mittagessen herauszureden.
    Eine Glocke über der Tür des Schnellrestaurants kündigte uns an. Wir nahmen in einer leeren Nische Platz, und ich bestellte Kaffee und ein gegrilltes Käsesandwich. Durant studierte die blätterteiggelbe Karte und orderte Eier mit Speck. Das Mädchen kam kurz darauf mit fingerhutgroßen Gläsern Orangensaft zurück.
    »Sehen Sie«, antwortete Durant, sich um eine freundliche Stimme bemühend, als wäre es an der Zeit, sich zu erklären, »wir sind überzeugt, Amos schreibt über unsere Stadt. Es gibt unmissverständliche Hinweise. In dem Buch, meine ich. Der Black Creek fließt durch unsere Stadt. Die Tankstelle im Roman sieht genau aus wie unsere. Das Treffen in dem Hotel, auch diese Details lassen keine Zweifel zu. Es ist jedem in der Stadt klar. Jedem jedenfalls, der das Buch gelesen hat. Die Stadt in dem Buch liegt wirklich genau hinter der Alabama-Georgia-Staatsgrenze. Könnte überall sein. Ist aber nicht überall.«
    Durant war den ganzen Weg von Florida nach New York City gefahren, um Amos mit falschen Details in seinem Roman zu konfrontieren? Aber warum? Und wenn dem so war, was konnte er erreichen? Das Buch war in den Buchhandlungen und bei den Lesern, es befand sich jenseits der Kontrolle des Autors.
    »War David Amos je in Ihrer Stadt?«, wollte ich wissen.
    »Ich sehe es überall. Auf jeder Seite«, sagte Durant.
    »Denken Sie an die Sache mit den Autos? Ich meine die Autofirma? Die asiatische Firma, die zwei Scouts nach River Blue schickt, um zu sehen, ob sie die Fabrik bauen sollen, ist das Ihrer Ansicht nach auch der Situation in Ihrer Stadt entnommen?«, fragte ich.
    »Die Wirtschaft in unserer Stadt pfeift aus dem letzten Loch«, meinte Durant, »ich fürchte, unsere Honoratioren würden diese Jungs zunächst genauso willkommen heißen, würden applaudieren, ähnlich, wie die Stadtväter es im Buch machen. Ich weiß nicht, was um Himmels willen sie tun würden, um einen Vertrag für so eine Fabrik zu bekommen. Aber das ist es nicht. Nein, das ist nicht, worum es geht.«
    Er zögerte einen Moment: »Mein Fuß. Sie haben meinen Fuß gesehen?«, fragte er mit so plötzlicher Härte, als würde er aus der Drehung seine Faust in einen Boxsandsack schlagen.
    »Natürlich sahen Sie ihn. Er macht mich nach, verstehen Sie? Ein Vater und eine Tochter bekommen ein Kind, das mit einem verdammten Klumpfuß geboren wird.«
    Ich dachte daran, wie in dem Buch die Familie zu Tode geknüppelt und im Flussbett von den Stadtleuten beerdigt wurde, ein Vater-Tochter-Pärchen mit einem Kind, das an einem Klumpfuß leidet. Der Klumpfuß war eine Bedrohung für den Golden Handshake zwischen einem asiatischem Unternehmen und einer Pleite gehenden Stadt. Das Inzestpärchen und sein Nachwuchs mussten verschwinden, damit man den Vertrag bekam. Wie konnte Durant ernsthaft annehmen, dass Amos dabei über ihn schrieb? Das war abwegig, wenn nicht sogar verrückt.
    »Das Buch setzt uns in kein gutes Licht«, bemerkte Durant.
    »Es tut mir Leid, dass Sie so verärgert sind«, sagte ich. »Vielleicht sehen Sie zu viel in dem Buch. Ich glaube nicht, dass der Roman irgendeinen Schaden anrichten soll. Und wenn Sie erlauben, was stellen Sie sich vor? Was soll Amos denn machen, jetzt, wo das Buch erschienen ist?«
    »Was er tun soll?«, wiederholte Durant meine Frage ohne Spott. Es sah vielmehr so aus, als ob er tatsächlich über die Frage nachdachte.
    »Wir können nicht mehr verhindern, dass das Buch in den Läden liegt, es sei denn, wir kaufen die Exemplare auf. Aber wer hat schon genug Geld dafür. Nein, was wir wollen, ist eine Korrektur.«
    Der Klang einer Drohung schwang mit, wie etwas, das scharf durch die Luft fährt. Unser Essen und mehr Kaffee kamen. Das lenkte ihn für den Augenblick ab.
    Man kann Fiktion nicht korrigieren, dachte ich. Das war ein nutzloses Vorhaben. Außer, kam es mir mit einem Schlag, wenn all das, was hier passierte, bereits zur Logik dieser Geschichte gehörte. Ja, was wenn Durants Besuch Teil davon war, wenn dieser Besuch sogar das war, was ich in dem Buch so mysteriös versteckt vermutet hatte? Wenn es das war, was ich im Verborgenen gespürt und dann so fälschlicherweise für vielversprechend gehalten hatte? Dieser Gedanke machte mir
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