Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Asylon

Asylon

Titel: Asylon
Autoren: Thomas Elbel
Vom Netzwerk:
1
    Masterleveller Torn
fixierte die Leiche. Aus dieser Entfernung war kaum mehr als ein Bündel
zerfetzter, blutiger Kleidung zu erkennen. Von seinem Standpunkt aus konnte er
nicht einmal das Geschlecht bestimmen. Es half nichts: Wollte er das seltsame
Bauchgefühl klären, das ihn schon beim ersten Anblick der Leiche beschlichen
hatte, musste er wohl oder übel in den Todesstreifen. Er legte den Zeigefinger
auf den Schalter des Detektors und drückte ihn in die Fassung.
    Nichts geschah.
    Verdammte
Schrottmühle!
    Er versetzte der
Steuerungseinheit mit der freien Hand einen Hieb. Unwillig flackernd glomm eine
Diode auf, und das Gerät erwachte mit nervösem Summen zum Leben. Vorsichtig hob
er die tellerförmige Sonde über den Zaun und ließ sie langsam einen Halbkreis
über dem Boden auf der anderen Seite beschreiben. Nichts.
    Na, schön.
Also hinein ins Vergnügen.
    Langsam, sehr langsam legte er den
Detektor auf der anderen Seite ab.
    Der Zaun war niedrig. Nur ein
einfacher Stacheldraht auf etwa einem Fuß hohen Eisenstäben. Eher eine rostige
Markierung als ein echtes Hindernis. Wozu auch? In
vier Jahren Dienst hatte Torn nie erlebt, dass irgendeine der armen Seelen aus
der Außenwelt lebendig bis zu diesem Punkt vorgedrungen war. Die erste Barriere
in Form der riesigen Blendmauer, deren ferne graue Haut seine Welt von den
Wüsten dahinter trennte, ließ sich mit einigem Geschick vielleicht noch überwinden,
die Streuschussanlagen aber nur noch mit Gottes Gnade. Doch das Minenfeld?
Niemals. Wer immer dort vorn lag, war in einem makabren Sinne ein Glückspilz,
dass er es überhaupt so weit geschafft hatte.
    Bedächtig stieg er erst mit einem
Bein über den Zaun in den Halbkreis, den er mit der Sonde abgesucht hatte, und
zog dann das andere nach, peinlich auf sein Gleichgewicht bedacht.
    Nur keine
hastigen Bewegungen.
    Die zähe Nachmittagssonnenglut
versengte ihm den Nacken. Schließlich hob er die Sonde wieder auf und nahm sich
den nächsten Abschnitt vor. Der stählerne Arm war anderthalb Meter lang. Torn
schätzte die Entfernung bis zu dem leblosen Bündel auf etwa zehnmal so weit.
Fünf oder sechs Schritte vor der Leiche war der Boden aufgerissen. Dort war die
Mine versteckt gewesen, die dem Kerl zum Verhängnis geworden war.
    Zehn Minuten, schätzte Torn, wenn ich gut vorankomme.
    Aber zehn Minuten konnten
verdammt lang werden im Niemandsland zwischen dem sogenannten letzten Bollwerk
der menschlichen Zivilisation und der unsichtbaren Hölle dort draußen auf der
anderen Seite der Grenzanlagen der Stadt.
    Zentimeter für Zentimeter ließ er
die Sonde über den Sand gleiten. Plötzlich stieß das Gerät jenes schrille
Pfeifen aus, das er jedes Mal fast mehr herbeisehnte als fürchtete. Die gute
Nachricht war: Der Detektor tat seinen Dienst. Die schlechte: Der Tod lauerte
nur anderthalb Meter entfernt, knapp unter der Oberfläche.
    Ein magersüchtiges
Flechtenbüschel bot einen guten Anhaltspunkt, um sich die Stelle einzuprägen.
Er zog die Sonde ein wenig zurück, schaltete den Detektor aus, um die kostbare
Energie zu sparen, und legte ihn vorsichtig hinter sich, längs seiner eigenen
Spur. Dann zog er einen der kleinen Markierungswimpel aus seiner Beintasche und
bewegte sich mit Babyschritten auf sein tödliches Ziel zu.
    Gut, dass du
dich nicht bewegen kannst, mein kleiner Freund.
    Kaum zwanzig Zentimeter davor
hockte er sich hin. Ein kleines Rinnsal stahl sich prickelnd sein Rückgrat hinunter,
bevor es schließlich feucht in seiner Hose versickerte. Den Markierungswimpel
in der Rechten, stützte er sich so sachte, wie es ihm möglich war, auf die Fingerspitzen
der linken Hand und beugte sich ein wenig nach vorn. Nur noch ein bisschen,
gerade genug, um den Wimpel zu platzieren. Noch ein wenig, aber um Himmels
willen nicht das Gleichgewicht verlieren. Sonst … Sein Blick glitt für einen
Sekundenbruchteil zu dem zerfetzten Körper, bevor er sein Gewicht noch ein paar
Nanometerchen nach vorn verlagerte, bis die Fingergelenke fast zu platzen
drohten.
    »Bouncing Betty, nicht wahr?«,
fragte plötzlich jemand hinter ihm.
    »Verdammt!« Wild ruderte Torn
herum, panisch um die Balance bemüht, um die ihn die plötzliche Störung gebracht
hatte. Einige pumpende Herzschläge lang schwebte sein Körper zwischen Leben und
Tod. Doch mit einer ruckhaften Armbewegung gelang es ihm schließlich, sich nach
hinten auf seine vier Buchstaben plumpsen zu lassen. Keuchend und schnaufend
starrte er auf die Flechte, deren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher