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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije
Autoren: Willi Seidel
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standen sie als lockendes, unerreichbares Ziel vor ihm; und während er die Augen auftat, seufzte er schwach auf und wälzte sich von dem Balken herab. Eine Weile noch stand er verkniffenenBlickes da, um sich in der Wirklichkeit zurechtzufinden, und dann prügelte er den Büffel, der wiederkäuend vor ihm lag. Der Büffel hob sich ruckweise und mühsam in die Höhe und begann unter hilflosem Grunzen seinen Frongang wieder abzuschreiten. Die Sakije nahm einen Anlauf; dann fand sie ihre Melodie und sang ihr fatalistisch leierndes Lied, gleichmütig, so, als ob sie nie geschwiegen habe.
    Der Abend war da. Die Farbe der Hügel spielte in ein dämmerndes Rostbraun herüber. Der Himmel dunkelte in finsteren Veilchentönen; hellgelbe Flammen loderten noch an den Rändern der Welt; dann wuchs mit ungeheurem Leuchten ein tieforangefarbener Rauch im Westen heran und schluckte, von innen heraus rot erglühend, den violetten Schimmer. Tiefes Urblau machte sich breit, Sterne drangen heran, zu Dutzenden zunächst, dann heerweise, bis die ganze kristallne Glocke mild erschimmerte. Dies alles dauerte kaum die Zeit, da man eine mittlere Sure spricht; dann wurde das Niltal schwarz: und Daûd, der, die Hände unter dem Kopf verschränkt, betrachtend dagelegen war, sah die Silhouetten seiner Eltern näher kommen. Sie hatten die Feldarbeit beendet und stießen mit der Hacke ein jammerndes Tier vor sich her, ein Geschöpf, das, sobald es sich befreit aufreckte, menschliche Maße zeigte; Dabbûs, die »Stecknadel«, den Sklaven aller Welt.
    Drüben auf der anderen Seite des Stromes, zeigte sich jetzt die blendende Laternenreihe der Strandpromenade und der hufeisenförmige Lichterkranz der großenHotelterrasse. An das Drüben dachte Daûd für gewöhnlich nicht viel; heute jedoch, da sein träumender Kopf voller Piaster und prunkhafter Kleider war, stellte er sich die weißen Fremden vor, die verachtungswürdigen, ruhmredigen Fremden, die, wie man ihm berichtet hatte, im Golde wühlen und sich von allen Seiten herrlich beleuchten lassen, wenn sie essen und trinken. Oder die sich mit ihren Frauen (was vollends albern war) herumdrehten, bis sie schwitzten, und dann mit roten Gesichtern pfefferhaltiges Wasser tranken, um stark zu werden – – – das hatte man ihm erzählt! Das wußten die Bootsleute ganz genau, und sie belegten es mit den lärmendsten Eidschwüren! Daûd kicherte in sich hinein.
    Dann schloß er sich den Eltern an, vermied es, in ihre griesgrämigen Züge zu blicken und vergaß wieder alles über seinem herrlichen Traum, der ihn wie ein paradiesisches Geheimnis beschäftigte. Er fand ein halb zerkautes Zuckerrohr und saugte, während er heimwärts trabte, die letzte Süßigkeit heraus.
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    In der Mitte der Nacht wachte er plötzlich auf. Eine unbestimmte Beklemmung hatte ihn geweckt. Und plötzlich war die Erinnerung an seinen Nachmittagstraum wieder da. So, als sei er irgendwo zu Besuch gewesen, doch als habe er gänzlich vergessen, wo. Es war ganz still; draußen ging ein Flüstern um. Seine Eltern lagen wie ein schwarzer Klumpen auf einer Ziegenhaardecke. Neben ihnen, im schwachen Sternlicht, lag Dabbûs,die Nase zwischen den hochgezogenen Knien. Und der junge Daûd hielt eine blinzelnde Augenzwiesprache mit seiner Umgebung, vielleicht durch die Dauer einer halben Stunde; er horchte auf das Pfeifen der Fledermäuse, sah, wie durch die Luke, die die gespaltenen Palmstämme im Dache freiließen, ein Ziegenmelker hin und her strich, und vernahm das sachte Trappeln eines Fuchses, der draußen einsam durch die Gassen trabte.
    Und nun beschloß er etwas. Dieser rare Vorgang entwickelte sich in seinem Hirn, ohne daß er mit jemand gesprochen hätte. Das persönliche Ich riß sozusagen seine letzten Keimhüllen durch: ein höchst belangloses, embryonales Ich noch, aber trotzdem eines, das selbständig wurde, sich herausschälte, Eigennutz zeigte, verschmitzte Gedankenfolgen produzierte; kurz, es war die erste Kopftat des kleinen Daûd, und sie beschäftigte ihn seltsam gründlich. Und am Schluß stand das Resultat vor ihm, die formgewordene Idee. Und diese Idee hatte ein gelbes Hemd an, war in Begleitung eines weißen Esels und klimperte mit vielem Silbergeld; und im Hintergrund, schattenhaft, drängten sich viele Inglîz, weiße Gestalten, die alle von dem Wunsch beseelt waren, auf diesem Esel zu reiten, und jede Summe dafür boten.
    Er stand leise auf, warf sein schmutziges Hemd um, widerstand der Versuchung, Dabbûs zum
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