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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije
Autoren: Willi Seidel
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Vater, der das sprach; doch zuerst wollte er mancherlei wissen. Er sagte: »Gott sei mit dir, mein Vater! Wo hast du das Zicklein ergattert?« Sprach Zabal: »Wir trafen einen Bauern auf dem Weg zu dem Dorfe Naga-el-Bairat, und da sprach ich zu ihm: ›,Beim Leben der Umm-Dabbûs, du Kuppler, wenn du heute mir, dem Schêsch des Dorfes, nicht Ehrerbietung erweisest, so sollst du in deinem Dasein nicht einmal mehr einen Hund in deiner Hütte schlachten!‹, Da schrie und heulte er, wir aber nahmen ihm das Zicklein, Gott ist groß! Wir sind ganz blutbespritzt, sieh uns an! Und wir werden eine Mahlzeit halten, eine herrliche Schmauserei, und was dich anlangt, so komm ohne Verzug, denn mich dauert es, daß du da sitzest und Fliegen fängst, anstatt mit deinem Vater und seinen Genossen vergnügt zu sein!« – Wahrhaftig, Daûds Vater hatte Ziegenblutspritzer auf den schlotternden Ärmeln seines halbseidenen, offenbarneuen Hemdes; doch achtete er dessen nicht, sondern tat sich mächtig hervor im Reden und Pläneschmieden – – oh, wie tüchtig und jung war er geworden! Die Falten seines sonst verdrossenen Antlitzes waren wie durch Zauberhauch getilgt; seine Gestalt war gestreckt wie die eines Fuchses, der in den Wind schnuppert, beutegierig und nach Erwerb guten Fraßes lüstern. Und nun kam er mit seinen Freunden, um seinen Sohn mit freundlichem Wort von der Fronarbeit zu befreien, wie trunken taumelte er heran, Honig auf der Zunge und Gesang im Herzen ... »Wen aber«, fragte Daûd, »lassen wir bei der Sakije zurück, Vater? Der Büffel feiert, wenn ich ihn nicht prügele!« »Allah!« schrie Zabal, »du hast einen Bruder! Ein kleines Trogschwein, gerade reif für den Acker!« Und siehe, nun tauchte Daûds älterer Bruder widerwillig aus dem Grün hervor.
    Seine Mutter hatte sich in der Schwangerschaft an einem Affen versehen; vermutlich war es der Pavian von Port Sudân gewesen, mit dem ziegelroten Gesäß und dem erbsfarbenen Haarmantel, den der alte Nubier Einêgil auf der Landstraße vor den Fremden tanzen ließ. Dieser Bruder Daûds hieß Dabbûs, »Stecknadel«, weil er so klein und erbärmlich war, daß ein rechter Mann ihn mit Fug übersah. Er hatte ungelenke, magere Gliedmaßen; seine Knie glichen dicken Knoten; sein Rückgrat war wie ein Fragezeichen gekrümmt, und sein Kopf gemahnte an den eines Greises oder kaum geborenen Kindes, mit überladendem Hinterkopf undflacher Stirn, breiten, nacktstehenden, zugespitzten Ohrmuscheln (an denen er, als Erstgeborener, einen kleinen silbernen Halbmond trug) und beweglichem Mund, der an eine Schnauze gemahnte und stets in Bewegung war. Sein eines Auge war erloschen; es rollte aber um die Wette mit dem ihm nahe benachbarten zweiten, das schlau und scharf war, schier stechend, und nichts Eßbares außer acht ließ. Das war Dabbûs. Er war zehn Jahre alt und der erklärte Sklave aller Welt.
    Dabbûs kletterte jetzt wie eine Spinne auf den Balken, und Daûd sprang herab mit einem seligen Schrei. Er schwebte wie eine Taubendaune in der Luft und im Blau ... Und unter sich, tief und doch deutlich, sah er seinen Vater mit den Genossen weiterrennen. Zabal trug einen Tarbusch, den er mit einem seidenen Tuch umwickelt hatte, und die Fransen dieses Tuches umspielten seinen Nacken wie eine flatternde Fahne. Ja, wenn nicht alles täuschte, so ward Zabal mit jedem Sprung, den er tat, jünger und reicher; er schwang einen dicken Stock, und das Zickleinviertel unter seinem Arm leuchtete rosig herauf. Auf einmal war Daûd ihm dicht auf den Fersen und lief auf plattem Boden, so daß von seinen klatschenden Sohlen der Staub in die Höhe fuhr. Hinter ihnen, durch den Fleischgeruch gelockt, sprangen jappende Hunde, kurzbeinige gelbe Hunde, die knurrten und vor Eifersucht aufeinander winselten ... Da hieß es rennen, und das war kein Kunststück, denn im Traum hat man mehrSprungfedern in den Gelenken als in der schleichenden Wirklichkeit.
    Daûd folgte also fröhlich den sechs roten, gelbbesohlten Schuhen, die vor ihm dahinwirbelten, bis er auf einmal Schatten um sich spürte, aus dem der warme Geruch seines heimatlichen Dorfes wehte. Alles um ihn herum schien sich verändert zu haben, in einem fremden, verschönernden Licht zu ruhn; die Gassen lagen feiertäglich still; Sonnenlicht schwamm funkelnd über dem aufgestapelten Durrahstroh der Dächer, auf denen farbige Hähne stolzierten und emsig krähten, so daß die Luft sich von ihrem Getöse erfüllte ... Die Dorfbewohner hockten,
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