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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije
Autoren: Willi Seidel
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vibrierte durch die Glutstille des Frühlingsmittags. Das Weizenfeld stand schimmernd grün, starr, saftvoll und prangend; und darüberhin wehten die Rufe des Wiedehopfs, des helmgekrönten Vogels, der mit eitlem Zickzacktrippeln über die Wege rennt. Der Vogel stieß seinen kurzen, leidvollen Schrei aus: »Zeep, zeep«, rief er schrill; dann spreizte er das scheckige Gefieder und stürzte davon, knapp über die Halme: denn der Büffel war am Werk, und der Büffel brauchte ihn.
    Ein Lied, so alt wie die Kindheit der Menschen, sang die Sakije, das Räderschöpfwerk aus rotem Akazienholz. Es drehte sich träge, es knarzte und weinte. Was ist die Trauer der Sakije? Sie trauert darüber, daß die Zeit sich nie erfüllen wird, da sie feiern kann; sie singt hoch und summend das Klagelied, das seinen Kehrreim an den Ufern des Stromes unendlich oft wiederholt; und sie seufzt, tief und voll, wie die Schwinge der schwarzen Hummel, oder die des Pillendrehers,der durch den abendlichen Staub der Straßen schwirrt. Und was sie singt, ist die Zeit – die unersättliche Zeit, die uns alle frißt: Gott ist groß! Gott ist sehr groß! Nichts Neues entsteht; und was man erntet, vergeht; Weizen wird Brot und Kleie, und Ful wird gemahlen ober wandert in den Schmortiegel, alles nach Gottes Willen!
    Und dieselbe Melodie mit demselben leiernden Auf- und Abschwellen, derselben fremden Rhythmik singt der alte berberiner Bettler, der arm ist wie eine schmutzige Ratte und seine gleichwohl mit Silberringen geschmückte Hand aus dem Schatten einer Mauer streckt; dieselbe Melodie der Junge, der seinen trägen weißen Esel mit einem spitzen Zweig am Bauche stachelt, so daß er von Zeit zu Zeit gewaltig ausholt, er, der von fetten Fremden müdgerittene kleine Esel; dieselbe Melodie klingt nilaufwärts und -abwärts, über Wadi-Halfa bis dorthin, wo der Strom sich trennt; in der glänzenden Stadt Kairo, der Wohlverwahrten, und auf allen Mais- und Baumwollfeldern im Delta ... Sie ist immer dieselbe, und die Zungen haben sie von der Sakije gelernt. Der Sinn des Liedchens, was ist er? Gott tut, was Er will ... und was mich betrifft, so will ich, mit Seiner Erlaubnis, jetzt Saubohnen essen, Busa trinken, einen herrlichen Betrug bewerkstelligen oder schlafen; kurze Sätzchen sind es, kleine Pläne, die das stumpfe Gehirn in Unzahl hervorschwärmen läßt und die einander ähnlich sind wie die Sandfliegen seit Adams Zeit.Mit einemmal barst die Melodie mitten durch; und für das Ohr ward eine weitere Geräuschwelt aufgetan: die entfernterer Sakijen, die wie Kinderstimmen wimmerten und kaum sichtbar waren: ein melodisch klagendes Durcheinander feiner und tiefer Stimmen hinter einem breiten Schleier von Hitze. Nun regte sich ein staubiges Etwas, das auf dem schmalen Treibbalken geschlummert hatte. Es entwickelte sich aus seiner knäuelartigen Stellung heraus zu einer Art Mensch, wenn man ein hellbraunes Ferkel ohne einen Fetzen Lendentuch, mit schlammstarrenden Sohlen und verhornten Knien als Mensch bezeichnen will; dann endlich saß es rittlings auf dem Balken und beschäftigte sich damit, ganz wach zu werden. Der animalische Schlummer des Geschöpfes, das ganz ein Bestandteil der unentwegt kreisenden Sakije gewesen war, hatte Störung erlitten; die pflanzenhaft atmende Seele war grob herausgerissen worden vor die Forderungen des grellen Mittags und der Wirklichkeit ...
    Der weibliche Büffel hatte die Tradition, im Kreise zu schreiten, durchbrochen und vorübergehend eine Pause gemacht, um mit klatschendem Geräusch seinen grünen Mist abzulagern. Nachdem er dies getan, vergaß er sich noch eine Weile und genoß diese regelwidrige Unterbrechung mit glasigen Augen und sacht wedelndem Schweif. Er war häßlich wie die Nacht, frisch aus den bildenden Händen des Teufels hervorgegangen, der vor Allah geschworen hatte, mit geschlossenen Augen etwas Schöneres als die Kuh zu erschaffen –: etwasSchöneres als die braune Kuh, das heitere und kluge Tier! Aber die Gamusah blieb ein Zerrbild, ein Kinderschreck aus Grauwackenstein; und diese hier war lange im Dienst. Ihr Bauch war prall und hart; das vom Prügeln enthaarte Leder glänzte speckig; träge Zecken saßen brütend in den breiten Rillen der Rippen; und von dem ganzen erbärmlichen, stumpfen Geschöpf strahlte ein Dunst von Jauche und eine hohe Tonwelle von tausend Fliegen aus. Ja, die Fliegen tummelten sich und hatten ihre Lust; sie überwirbelten sich in der Luft, liefen windschnell in alle Winkel und
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