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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ja weiter-sehen. Umständlich, und sehr viel langsamer, als nötig gewesen wäre, fast wie um noch ein wenig Zeit zu gewinnen
    , begann ich mich zu rasieren. Das Gesicht, das mir dabei aus dem Spiegel entgegensah, wirkte müder, als ich mich fühlte: Meine Haut war blaß, und unter den Augen lagen dunkle Ringe. Dazu kam die zweifingerbreite, schlohweiße Haarsträhne, die sich wie ein gezackter Blitz von meinem Scheitel bis zur linken Schläfe zog und sich hartnäckig allen Versuchen widersetzte, sie etwa einzufärben; ein kleines Erbe meines Vaters, des großen Magiers. Gottlob lebte ich in einer Zeit, in der die meisten Menschen meine etwas ausgefallene Haartracht für eine Modetorheit halten mochten, so daß ich selten genötigt war, mir irgendwelche Ausreden einfallen zu lassen. Auch Professor Havilland hatte meine Frisur nur flüchtig gemustert, ohne auch nur mit einer Bemerkung darauf einzugehen, in einer Zeit, in der es manche für schick hielten, sich Sicherheitsnadeln durch die Wange zu bohren, ging eine weiße Haarsträhne wohl als harmlose Marotte durch.
    Alles in allem bot ich jedenfalls keinen sehr erbaulichen Anblick, aber das war wohl kein Wunder: In den letzten drei Wochen war kaum eine Nacht vergangen, ohne daß ich fünf-oder sechsmal schweißgebadet und mit klopfendem Herzen aus diesem immer gleichbleibenden Traum hochgeschreckt wäre, einem Traum, in dem ich nicht mehr Robert Craven war, sondern ein Wikinger namens Hellmark, und in dem ich eines entsetzlichen Todes starb. Einem Traum zudem, und das war vielleicht das Schlimmste,, der mit jedem Mal ein ganz kleines bißchen realer wurde, soweit ein Traum überhaupt real sein konnte.
    Zu Anfang war er sehr verworren gewesen, ein konfuser Nachtmahr aus scheinbar zusammenhanglosen Bildern und Geräuschen, den ich wie durch einen dichten Nebel hindurch wahrgenommen hatte. Aber im Laufe der Wochen war er immer deutlicher geworden, und während der letzten Tage war es mir manchmal schwer gefallen, Fiktion und Wirklichkeit auseinander zu halten, selbst nachdem ich aufgewacht war. Und jetzt, nachdem ich das Schiff unten in Havillands Privatmuseum gesehen hatte, war ich restlos davon überzeugt, daß es sich dabei nicht um einen normalen Alptraum handelte.
    Und schließlich war es nicht das erstemal, daß mich ein Traum auf Dinge vorbereitete, die schlimmer waren als jeder Alpdruck. Ich erinnerte mich noch mit Schaudern an mein erstes Zusammentreffen mit den Großen Alten, jener Rasse fürchterlicher Dämonenwesen, die die Erde lange Zeit vor den Menschen beherrscht hatten: Auch diesem Erlebnis waren die gräßlichsten Träume vorausgegangen. Es ist nicht immer ein reines Vergnügen, mit mehr als fünf Sinnen geschlagen zu sein. Ich hoffte inständig, daß Havilland mir zuhören würde.
    Es war acht, als ich mein Zimmer verließ; noch fast eine Stunde bis zum Frühstück, aber ich hatte keine Lust, tatenlos herumzusitzen. Falls Havilland oder Becker noch nicht auf waren, war dies vielleicht eine gute Gelegenheit, mir Havillands Sammlung in aller Ruhe anzusehen.
    Das Haus war sehr still. Havilland schien über kein oder zumindest nur sehr wenig Personal zu verfügen, denn ich traf keine Menschenseele, während ich die Treppe in die große Halle im Erdgeschoß hinunterging, und ich hörte auch nichts, was auf die Anwesenheit anderer Menschen hindeute-te. Am Fuße der Treppe blieb ich stehen und rief Havillands Namen, ohne jedoch eine Antwort zu bekommen. Schließ-
    lich zuckte ich mit den Achseln und trat an den erstbesten Schaukasten heran.
    Ich hatte kaum zwei Schritte getan, als ich eine Bewegung hinter mir spürte. Ich blieb wieder stehen und drehte mich herum, darauf gefaßt, Havilland oder Becker zu sehen, aber ich war allein. Hinter mir war niemand.
    Und doch war ich plötzlich überzeugt, daß ich beobachtet wurde. Es war ein unheimliches, fast schon beängstigendes, aber ganz und gar untrügliches Gefühl, vergleichbar jenem, das einem in einem vollkommen dunklen Zimmer die Anwesenheit eines zweiten verrät, eine jener undeutbaren Wahrnehmungen unterhalb der Bewußtseinsschwelle, die einen frösteln lassen. Schatten schienen durch die Halle zu huschen, wo nur das Licht der Morgensonne war, etwas schien sich zu bewegen, wo nur Leere war.
    Dann sah ich die Tür.
    Es war eine sehr schmale, aber hohe Tür, die so geschickt unter der Treppe eingepaßt war, daß ich sie gar nicht bemerkt hätte, wäre sie nicht einen Spaltbreit offengestan-den. Und
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