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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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schrammte mit der Hand über die scharfe Kante des Untersuchungstisches. Es tat verdammt weh.
    Ich unterdrückte mit Mühe einen Schmerzensschrei und hob die Hand vors Gesicht. Quer über meine Handwurzel zog sich ein langer, blutiger Kratzer. Ein einzelner Blutstropfen fiel auf die Stirn der tausend Jahre alten Mumie herab, nicht viel mehr als ein mikroskopisch kleiner Spritzer, der mit bloßem Auge kaum auszumachen war. Aber dort, wo er den Stoff berührte, begann dieser zu schwelen, als wäre es kein Blut, sondern Säure. Dann, fast im gleichen Moment, in dem ich es bemerkte, hörte es auch schon wieder auf, ja, ich war plötzlich nicht einmal mehr sicher, ob ich mir den Zwischen-fall nicht nur eingebildet hatte. Verwirrt trat ich einen Schritt von der Mumie zurück und betrachtete abwechselnd meine lädierte Hand und den toten Wikinger.
    »Das wollte ich nicht«, murmelte Becker entschuldigend.
    »Lassen Sie mal sehen, ist es schlimm?«
    Er wollte nach meiner Hand greifen, aber ich funkelte ihn so wütend an, daß er es bleiben ließ. »Ich werde Ihnen oben einen Verband machen«, sagte er. »Es tut mir leid.«
    Meine Antwort bestand nur aus einem weiteren bitterbösen Blick, so daß Becker vorsichtshalber gar nichts mehr sagte, sondern hastig an mir vorbei zur Tür ging.
    Ich folgte ihm. Aber ich blieb noch einmal stehen, eine Sekunde, bevor Becker demonstrativ das Licht ausschaltete, und sah auf den schmalen Labortisch mit dem toten Krieger. Es war albern; aber die Vorstellung, daß dieser tausend Jahre alte Leichnam mit dem Blut eines lebenden Menschen in Berührung gekommen war, machte mir plötzlich Angst.

    Es verging dann noch einmal eine halbe Stunde, bis ich Havilland endlich traf. Und unser Gespräch verlief so unangenehm, wie ich befürchtet hatte; fast sogar noch ein bißchen schlimmer.
    Ich war noch einmal ins Gästezimmer hinaufgegangen, um meine Hand zu verarzten, die kleine Schramme, die ich mir im Keller zugezogen hatte, brannte ungemein und tat selbst dann noch weh, als ich sie gründlich mit einem Desinfekti-onsmittel behandelt und unter einem riesigen Heftpflaster verborgen hatte. Ich hoffte, daß sich die Wunde nicht entzünden würde, denn es bestand wenig Hoffnung, daß sich unter den knapp dreihundert Einwohnern dieses gottverlassenen Kaffs ein Arzt befand.
    Becker und Havilland saßen zusammen an einem riesigen Tisch beim Frühstück, als ich die großzügige Wohnküche im hinteren Teil des Hauses betrat. Havilland begrüßte mich mit einem erfreuten Lächeln und einer stummen, einladenden Geste, während Becker mir insgeheim einen warnenden Blick zuwarf. Ich begriff: Er hatte Havilland nichts erzählt, und sein Blick sagte mir, daß ich besser daran täte, es auch zu unterlassen. Wahrscheinlich war es sein Versäumnis, die Kellertür nicht richtig abgeschlossen zu haben. Um so besser, ich hatte weder Interesse daran, ihm Ärger zu bereiten, noch selbst welchen zu bekommen.
    Wortlos setzte ich mich an die reich gedeckte Frühstücks-tafel. Es muß wohl etwas daran sein, daß Seeluft den Appetit anregt, denn ich langte so tüchtig zu, daß sowohl Becker als auch Havilland nach einer Weile ein amüsiertes Grinsen nicht mehr unterdrücken konnten.
    Und trotzdem, etwas stimmte nicht. Wir sprachen über dies und das, Havilland machte ein paar lahme Scherze, und Becker redete über die Fahrt und das, was er zuvor für Havilland in New York erledigt hatte, aber während der ganzen Zeit glaubte ich eine unangenehme Spannung zu fühlen, die unsichtbar im Zimmer lag. In Havillands Blicken war wieder das Mißtrauen, mit dem er mich gestern begrüßt hatte. Hatte Becker doch geredet? Ich begann mich immer unbehaglicher in meiner Haut zu fühlen. Ich war nahe daran, von mir aus das Wort zu ergreifen und Havilland rundheraus zu sagen, warum ich wirklich hier war, als er mir die Initiative abnahm; offensichtlich war er zu dem Schluß gekommen, daß es jetzt genug der Präliminarien war.
    Vielleicht hatte er auch einfach nur so rücksichtsvoll sein wollen, mich in Ruhe zu Ende frühstücken zu lassen.
    Ich war mit meiner dritten Tasse Kaffee beschäftigt, als Havilland unvermittelt auf meine Hand deutete und fragte: »Haben Sie sich verletzt, Mr. Craven?«
    Ich fuhr merklich zusammen und rettete mich in ein ungeschicktes Lächeln. »Das ist nichts«, sagte ich. »Bloß ein Kratzer!«
    Havilland lächelte pflichtschuldig, aber seine Augen blieben kalt wie bemalte Glasmurmeln. »Nun, Mr. Craven«, fuhr er
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